Atomdeal mit geringer Halbwertzeit
Bundestag beschließt Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke / Auch Sparpaket auf der Tagesordnung
Das schwarz-gelbe Energiekonzept mit 80 Prozent Ökostromanteil bis 2050 sei weltweit das ehrgeizigste Programm für erneuerbare Energien, lobte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) seinen Kurs. »Das ist eine Revolution.« Zum ersten Mal seit 20 Jahren gebe es überhaupt ein verbindliches Regelwerk für die Kerntechnik, zuvor habe es gefehlt. Den Oppositionsparteien warf der Minister dagegen vor, die Atomfrage als »parteipolitisches Kampfthema« zu behandeln.
Dagegen bezichtigten mehrere Oppositionspolitiker die schwarz-gelbe Koalition, den bereits beschlossenen Ausstiegskonsens aufzukündigen. »Sie spalten die Gesellschaft, wo sie schon einig war«, kritisierte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Die Regierung eröffne mit der Laufzeitverlängerung einen »gesellschaftlichen Großkonflikt«. Für die »vier Energiedinosaurier« in Deutschland – E.on, RWE, EnBW und Vattenfall – schaffe die Regierung Wettbewerbsvorteile. »Für die Profite von vier Konzernen machen sie so viel kaputt«, kritisierte auch Linksfraktionschef Gregor Gysi. »Was sagen Sie den Leuten, wenn uns irgendwann mal ein Atomkraftwerk um die Ohren fliegt?« Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf der Koalition vor, im Zuge des Energiekonzepts die Sicherheitsstandards aufweichen zu wollen. Die Regierung wolle eine »laxe Form der Atomaufsicht« ins Bundesgesetz übernehmen.
Zu Beginn hatten insbesondere die Grünen vergeblich versucht, mit zahlreichen Änderungsanträgen und Wortmeldungen die Abstimmung über das Gesetz in letzter Minute noch zu verhindern. Die Mitglieder der Fraktion waren einheitlich in Schwarz gekleidet erschienen, viele von ihnen trugen am Revers kleine gelbe Kreuze – das Symbol für die Anti-Atomproteste im Wendland.
Die Mehrheit von Union und FDP setzte sich am Nachmittag mit 308 zu 289 Stimmen bei zwei Enthaltungen gegen die Opposition durch. Grüne, LINKE und SPD sowie mehrere Bundesländer wollen vorm Bundesverfassungsgericht klagen, wenn die Regierung wie erwartet den Bundesrat nicht einbezieht.
Vor dem Reichstagsgebäude hatten rund 2000 Menschen seit dem frühen Morgen mit einer Menschenkette gegen das Gesetz protestiert. Aktivisten der Umweltschutz-Organisation Greenpeace waren ebenfalls am Morgen auf das Dach der CDU-Zentrale geklettert und hatten dort ein Banner aufgehängt, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und RWE-Chef Jürgen Großmann mit Schnapsgläsern beim Anstoßen zeigt.
Am frühen Abend stand auch das Haushaltsbegleitgesetz in zweiter und dritter Lesung auf der Tagesordnung, mit dem die Koalition ihre im Vorfeld kontrovers diskutierten Sparpläne verwirklicht. Mit ihm wurde der Mechanismus in Gang gesetzt, mit dem die ins Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse ihre Wirkung entfaltet. Der Bundeshaushalt soll in den nächsten vier Jahren um insgesamt rund 20 Milliarden Euro entlastet werden. Im Vorfeld hatten die Oppositionsparteien und Sozialverbände vor allem die Streichungen im Sozialbereich kritisiert, die vor allem Bezieher von Hartz IV und ihre Familien treffen. Das Sparpaket umfasst jedoch auch eine Abgabe auf Flugtickets und die Ökosteuer. Das Parlament wollte zudem nach Redaktionsschluss die Restrukturierung von Krisenbanken und die umstrittene Bankenabgabe beschließen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.