Gefährliche Reliquien des Kalten Kriegs
Kirchen fordern Abzug taktischer Atomwaffen
Klerikale Ethiker fordern im Hinblick auf den Mitte November in Lissabon anstehenden Gipfel des Militärbündnisses, das sich dort eine neue Strategie geben will, ein Umdenken in der Nuklear- und Abschreckungspolitik. Die am Dienstag in Berlin durch den niederländischen Theologen Laurens Hogebrink vorgestellte Resolution des Brüsseler Büros der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), die acht regionale ökumenische Zusammenschlüsse umfasst, verlangt den sofortigen Abzug der restlichen etwa 200 US-amerikanischen taktischen Nuklearwaffen, die noch in den fünf NATO-Staaten Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert sind. Hogebrink forderte auf der internationalen Konferenz »Viele Mitglieder, aber keine Feinde?« der Evangelischen Kirche in Deutschland, die NATO solle die Pläne von USA-Präsident Barack Obama zur nuklearen Abrüstung unterstützen, auch gegen den Widerstand Frankreichs, das »seine Atomwaffen liebt«.
»Flexible Response« ist eine NATO-Strategie aus den 60er Jahren, die eine Ergänzung von konventionellen und atomaren Streitkräften propagierte, je nach »Bedrohungslage«, und bis heute nachwirkt. Damals stationierten die US-Amerikaner gegen die angebliche konventionelle militärische Überlegenheit des Warschauer Vertrags »zur Abschreckung« taktische Nuklearwaffen in Westeuropa. »Taktisch« meint alle Waffen, deren Trägersysteme eine Reichweite von weniger als 5500 Kilometer besitzen. Eine solche Charakterisierung sei verharmlosend, sagte Hogebrink, da auch diese Waffen schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen können. »Kernwaffen, diese Reliquien des Kalten Krieges, haben heute eine irrationale politische Bedeutung«, stellte Hogebrink fest, sie gehörten daher abgeschafft.
Auch Pastor Renke Diedrich Brahms, seit 2008 Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland und einer der Initiatoren der Konferenz, forderte »eine Welt ohne diese furchtbaren Waffen«. Dies sei keine Utopie, sondern eine konkrete Verpflichtung, die sich schon aus den schrecklichen Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki ergebe. Ziel müsse die Überwindung der nuklearen Abschreckung durch eine Ächtung aller Massenvernichtungsmittel und deren völlige Abrüstung sein.
Allein Jasper Wieck, Leiter der Politischen Abteilung der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der NATO, wollte der protestantischen Ethik nicht folgen. In der Diskussion rechtfertigte Wieck »Flexible Response« und belehrte Pastor Brahms, die Nuklearwaffen wären »im Kalten Krieg Garanten für unsere Sicherheit« gewesen. Ohne genauer auf die Gefährlichkeit taktischer Waffen einzugehen, lobte Wieck den neuen Vertrag zur Reduzierung strategischer nuklearer Waffen zwischen den USA und Russland, der die Anzahl der Sprengköpfe beider Parteien auf 1550 sowie die der Trägermittel auf 800 reduziert habe. Ein Sicherheitsrisiko atomarer Waffen sieht Wieck hauptsächlich in der Weiterverbreitung, die die NATO-Staaten allerdings nach Lissabon entschlossen bekämpfen würde.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.