Claims heimlich abgesteckt
Nordrhein-Westfalen: Kommerzielle Suche nach Erdgas beginnt
Die Hälfte Nordrhein-Westfalens (NRW) kann unterirdisch nach sogenanntem unkonventionellen Erdgas durchsucht werden. Die entsprechenden Bergbauberechtigungen sind verliehen. Doch Öffentlichkeit und Landtag erfuhren davon erst durch eine gezielte Anfrage der Grünen-Abgeordneten Wibke Brems und die entsprechende Antwort des NRW-Wirtschaftsministeriums.
»Mir ist das Verfahren bisher zu undurchsichtig«, sagt Brems. Doch
sei ein erster »guter Schritt« gemacht: »Wir haben Informationen.« Erste Basisinformationen habe sie »eher zufällig« in einem Gespräch mit Mitarbeitern des Energiekonzerns ExxonMobil erfahren, sagt Brems, Sprecherin für Klimaschutz und Energie innerhalb ihrer Landtagsfraktion. Auf dieser Basis habe sie ihre Anfrage gestellt. Wirtschaftsminister Harry Kurt Voigtsberger (SPD), seit Juli im Amt, habe ihr zugesagt, Parlament und Bürger künftig besser zu informieren.
Erste Probebohrungen fanden gemäß Wirtschaftsministerium bereits Mitte der 1990er statt, wurden jedoch aufgegeben. 2008 wurde in Minden gebohrt. Ein Antrag auf eine Erkundungsbohrung im münsterländischen Nordwalde wird derzeit geprüft. In beiden Fällen sind Töchter des ExxonMobil-Konzerns involviert.
Die sind am Freitag in die Kritik geraten: Nach Informationen von »Spiegel Online« wurden bei einer Exxon-Testbohrung nach unkonventionellem Erdgas in Niedersachsen rund 24 000 Liter Chemikalien »in den Boden gepresst«. Einige davon seien hochgiftig. Auf Grund des hohen Drucks sei »nicht
ausgeschlossen, dass Chemikalien und auch Gas ins Grundwasser gelangen können«, so der Energieexperte Werner Zittel.
Ob und wann eine ökonomisch rentable Förderung des unkonventionellen Gases möglich ist, ist derzeit unklar. Doch die Claims in NRW sind abgesteckt: 17 850 der 34 088 Quadratkilometer umfassenden Landesfläche sind vergeben. Immer geht es dabei um »Aufsuchungen zu gewerblichen Zwecken«. Weitere Akteure neben ExxonMobil: Die BASF-Tochter Wintershall, die kanadische Firma BNK Petroleum und BEB Erdgas und Erdöl, die halb zu ExxonMobil, halb zu Shell gehört. Das geht aus einer Auflistung des Landeswirtschaftsministeriums hervor. Drei der Genehmigungen seien unter der Ägide der seit Juli amtierenden rot-grünen Landesregierung erteilt worden, sagt ein Sprecher des Ministeriums auf ND-Nachfrage.
In zwei bis drei Jahrzehnten werden die konventionellen Erdgasvorräte erschöpft sein. Die unkonventionellen könnten die Förderung um 30 bis 50 Jahre verlängern. Sie sind meist in Gesteinsschichten und Kohleflözen eingelagert – und nur mit hohem Aufwand förderbar, da das unkonventionelle Gas nicht von selber empor strömt. Neue Abbautechniken ermöglichen jedoch immer öfter eine rentable Gewinnung.
Mitte des Jahres lösten die USA Russland als »Gasmacht Nummer eins« (Zitat: »Der Spiegel«) ab, weil dort der Abbau unkonventionellen Erdgases bereits im großen Stil betrieben wird. Experten sprechen von einer »amerikanischen Gasrevolution«. Und diese Revolution wird derzeit exportiert: nach China, Australien, Südafrika, Kanada, Polen, Schweden, Frankreich und Dänemark. In Deutschland vor allem nach Niedersachsen und eben auch NRW. Europa, so sagen Experten, hinkt den USA um 15 Jahre hinterher.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.