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Claims heimlich abgesteckt

Nordrhein-Westfalen: Kommerzielle Suche nach Erdgas beginnt

  • Marcus Meier, Köln
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die Hälfte der Fläche Nordrhein-Westfalens wurden Berechtigungen zur Suche nach schwer förderbarem Erdgas erteilt – vor allem an Konzerntöchter von ExxonMobil, BASF und Shell. Erkundungsbohrungen finden bereits statt. Öffentlichkeit und Parlament erfuhren das nur durch Zufall.

Die Hälfte Nordrhein-Westfalens (NRW) kann unterirdisch nach sogenanntem unkonventionellen Erdgas durchsucht werden. Die entsprechenden Bergbauberechtigungen sind verliehen. Doch Öffentlichkeit und Landtag erfuhren davon erst durch eine gezielte Anfrage der Grünen-Abgeordneten Wibke Brems und die entsprechende Antwort des NRW-Wirtschaftsministeriums.

»Mir ist das Verfahren bisher zu undurchsichtig«, sagt Brems. Doch

sei ein erster »guter Schritt« gemacht: »Wir haben Informationen.« Erste Basisinformationen habe sie »eher zufällig« in einem Gespräch mit Mitarbeitern des Energiekonzerns ExxonMobil erfahren, sagt Brems, Sprecherin für Klimaschutz und Energie innerhalb ihrer Landtagsfraktion. Auf dieser Basis habe sie ihre Anfrage gestellt. Wirtschaftsminister Harry Kurt Voigtsberger (SPD), seit Juli im Amt, habe ihr zugesagt, Parlament und Bürger künftig besser zu informieren.

Erste Probebohrungen fanden gemäß Wirtschaftsministerium bereits Mitte der 1990er statt, wurden jedoch aufgegeben. 2008 wurde in Minden gebohrt. Ein Antrag auf eine Erkundungsbohrung im münsterländischen Nordwalde wird derzeit geprüft. In beiden Fällen sind Töchter des ExxonMobil-Konzerns involviert.

Die sind am Freitag in die Kritik geraten: Nach Informationen von »Spiegel Online« wurden bei einer Exxon-Testbohrung nach unkonventionellem Erdgas in Niedersachsen rund 24 000 Liter Chemikalien »in den Boden gepresst«. Einige davon seien hochgiftig. Auf Grund des hohen Drucks sei »nicht

ausgeschlossen, dass Chemikalien und auch Gas ins Grundwasser gelangen können«, so der Energieexperte Werner Zittel.

Ob und wann eine ökonomisch rentable Förderung des unkonventionellen Gases möglich ist, ist derzeit unklar. Doch die Claims in NRW sind abgesteckt: 17 850 der 34 088 Quadratkilometer umfassenden Landesfläche sind vergeben. Immer geht es dabei um »Aufsuchungen zu gewerblichen Zwecken«. Weitere Akteure neben ExxonMobil: Die BASF-Tochter Wintershall, die kanadische Firma BNK Petroleum und BEB Erdgas und Erdöl, die halb zu ExxonMobil, halb zu Shell gehört. Das geht aus einer Auflistung des Landeswirtschaftsministeriums hervor. Drei der Genehmigungen seien unter der Ägide der seit Juli amtierenden rot-grünen Landesregierung erteilt worden, sagt ein Sprecher des Ministeriums auf ND-Nachfrage.

In zwei bis drei Jahrzehnten werden die konventionellen Erdgasvorräte erschöpft sein. Die unkonventionellen könnten die Förderung um 30 bis 50 Jahre verlängern. Sie sind meist in Gesteinsschichten und Kohleflözen eingelagert – und nur mit hohem Aufwand förderbar, da das unkonventionelle Gas nicht von selber empor strömt. Neue Abbautechniken ermöglichen jedoch immer öfter eine rentable Gewinnung.

Mitte des Jahres lösten die USA Russland als »Gasmacht Nummer eins« (Zitat: »Der Spiegel«) ab, weil dort der Abbau unkonventionellen Erdgases bereits im großen Stil betrieben wird. Experten sprechen von einer »amerikanischen Gasrevolution«. Und diese Revolution wird derzeit exportiert: nach China, Australien, Südafrika, Kanada, Polen, Schweden, Frankreich und Dänemark. In Deutschland vor allem nach Niedersachsen und eben auch NRW. Europa, so sagen Experten, hinkt den USA um 15 Jahre hinterher.

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