Brüsseler Kampf um Geld und Macht
Im Streit um den EU-Haushalt 2011 geht es nicht nur um ein paar Milliarden Euro
Es geht um 5,3 Milliarden Euro – oberflächlich betrachtet. Um so viel unterscheiden sich die Vorstellungen von EU-Rat und Europaparlament bei der Frage, mit wie viel Geld die EU im kommenden Jahr auskommen soll. So hoch dieser Betrag für sich genommen ist, so gering erscheint er dann, wenn man einen Blick auf die Gesamtsummen wirft, über die man in Brüssel streitet. Schlägt der EU-Rat als Gremium der Mitgliedsländer ein Budget von insgesamt 268,3 Milliarden Euro vor, so wollen die EU-Volksvertreter mit 273,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 haushalten. »Wir sparen ja auch zu Hause«, so begründen die Mitgliedsländer ihre Position. »Für all unsere Aufgaben und Ziele brauchen wir soviel Geld«, lautet die Antwort des Parlaments.
Doch außer dem sich jedes Jahr wiederholenden Geschacher um ein paar Milliarden mehr oder weniger geht es diesmal auch um Grundsätzliches. Denn erstmals verlaufen die Budget-Verhandlungen nach den Regeln des neuen Lissabon-Vertrags. Er billigt dem Europaparlament mehr Mitspracherecht bei der Festlegung des Haushaltes zu. Daraus erklärt sich das diesmal sehr hartnäckige Beharren des EU-Parlaments auf seiner Geldforderung. »Wir wollen, dass der Rat die neuen Regeln ernst nimmt, immerhin haben die Mitgliedstaaten den Lissabon Vertrag mit verabschiedet«, betont die EU-Abgeordnete Helga Trüpel (Grüne) gegenüber »Neues Deutschland«.
Bei der Forderung nach mehr Geld, als die Mitgliedsländer bereit sind zu zahlen, können die Parlamentarier auf die Unterstützung der EU-Kommission zählen. Sie entscheidet zwar nicht über das Budget, schlägt aber erste Zahlen vor. Mit 272,7 Milliarden Euro lag der Kommissionsvorschlag deutlich näher an den Vorstellungen des Parlaments. Neben der inhaltlichen Begründung, für die Zukunftsprojekte und vor allem die europäische Jugend genug Geld zu haben, ist die Forderung nach 5,3 Milliarden Euro mehr aber auch eine Art Verhandlungsmasse für die Parlamentarier. Sie sind bereit, von ihren Forderungen abzuweichen, wenn sich die Mitgliedstaaten im Gegenzug dazu verpflichten, dem Parlament die im Lissabon festgeschriebene Mitsprache auch in der Praxis zu gewähren.
Es geht dabei vor allem um langfristigen Einfluss. Die EU-Parlamentarier möchten sicherstellen, dass sie mitreden können, wenn es in absehbarer Zeit um die Festlegung des neuen Finanzrahmens der EU gehen wird. Zurzeit läuft ein Siebenjahresplan, der 2007 startete und 2013 endet. Für diesen Zeitraum hatten sich im Vorfeld die EU-Einrichtungen auf Grundregeln für die jährlichen EU-Haushaltspläne geeinigt. Die Details wurden dann jedes Jahr einzeln ausgefochten. »Bislang durfte das EU-Parlament nur Ja oder Nein zu den Vorschlägen des EU-Rats für diesen Finanzrahmen sagen, und das möchten wir ändern, gestützt auf den Artikel 312 des Lissabon-Vertrags«, sagt Trüpel.
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»Wir wollen über so etwas reden«, sagt Trüpel, die zu der 27-köpfigen Gruppe der Abgeordneten gehört, die mit dem EU-Rat nach Kompromissen für die festgefahrenen Haushaltspläne 2011 sucht. Bis nächsten Dienstag haben die Partner Zeit, sich zu einigen. Schaffen sie es bis dahin nicht, muss die EU-Kommission laut Lissabon-Vertrag einen neuen Vorschlag machen. »Möglicherweise werden dann die Staats- und Regierungschef auf ihrem Dezember-Gipfel das Thema Haushalt behandeln«, meint Trüpel. Und sollte bis Januar das Budget 2011 nicht stehen, würde jeden Monat ein Zwölftel des Haushalts 2010 zur Verfügung stehen. Auch das regelt der Lissabon-Vertrag.
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