Menschenrecht auf Kommunikation

Amarc-Kongress versammelt Radioaktivisten aus aller Welt in Argentinien

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Andreas Behn, La Plata

Der 10. Weltkongress des Verbands der Community-Radios in La Plata ist Geschichte. Rund 600 Radiojournalisten aus allen Kontinenten setzten sich nicht zuletzt mit dem Spannungsverhältnis zwischen politischem Engagement und professionellem Journalismus auseinander.

»Wir müssen die Rolle der Freien Radios in allen Regionen stärken, und ich werde die positiven Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren in Lateinamerika gesammelt haben, zum Vorbild meiner internationalen Arbeit machen.« Die Erklärung der Chilenin Pia María Matta nach ihrer Wahl zur neuen Präsidentin des Verbands der Community-Radios Amarc gibt die Richtschnur für die Zukunft an. Mit der Wahl eines neuen internationalen Vorstands und der Verabschiedung eines strategischen Plans für die kommenden vier Jahre ging der 10. Weltkongress von Amarc in der argentinischen Stadt La Plata am 13. November zu Ende.

Der strategische Plan für mehrere tausend Mitgliedsradios von Amarc sowie die Aktivisten der Bewegung alternativer Medien stellt die Einflussnahme auf die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der Medienlandschaft in den Mittelpunkt. Zudem sollen die oft prekären Existenzbedingungen nichtkommerzieller Sender mittels Vernetzung und Erfahrungsaustausch insbesondere im Bereich Finanzierung und Organisationsstruktur verbessert werden. Auf diese Weise soll der soziale wie politische Einfluss der Radios auf die Gesellschaft und die Lebensbedingungen insbesondere in Entwicklungsländern gestärkt werden.

Dieser Vorlage des scheidenden Vorstands fügte das Plenum noch weitere Ziele hinzu: Zum einen wurde die Forderung nach mehr Transparenz und Demokratie innerhalb des Radionetzwerkes festgeschrieben. Zum anderen wurde formuliert, dass regionale und kulturelle Unterschiede sowie die Genderfrage in Zukunft als Querschnittsthemen zu den Leitlinien von Amarc gehören werden.

»Nur wenn die Rolle der Frauen innerhalb der einzelnen Radios gestärkt wird, können sie auch als Vertreterinnen innerhalb des Netzwerkes die Politik mitbestimmen, zuerst auf nationaler, auf regionaler und schließlich hier auf der internationalen Ebene«, betonte die Mexikanerin María Eugenia Chávez, die als Vertreterin des Frauennetzwerkes von Amarc in den neuen Vorstand gewählt wurde.

Rund 600 RadiojournalistInnen aus allen Kontinenten nahmen während der fünf Kongresstage an Workshops und Podiumsdiskussionen teil. Es war ein Moment der Austauschs und der Reflexion zwischen Menschen, die zumeist lokal arbeiten und kaum die Chance haben, die Praxis des Radiomachens in anderen Gegenden der Welt kennenzulernen. »Das wichtigste für mich ist hier, etwas über den Alltag der Radios in anderen Ländern, ihre Probleme und Errungenschaften zu erfahren«, sagte Luis da Silva von Radio Papagaio aus Guinea Bissau.

Zentrale Themen des Treffens waren das Menschenrecht auf Kommunikation, die Bedeutung von Basisradios für eine gerechtere Welt und das Verhältnis von Genderfragen und Kommunikation. Auf Veranstaltungen ging es um neue Informationstechnologien, Radio von und für Kinder, Radios in Zeiten von Krieg oder Katastrophen, indigenen Widerstand und Sprachenvielfalt.

»Das Spannungsverhältnis zwischen politischem Engagement und professionellem Journalismus gehört zum Alltag derjenigen, die in Basisradios aktiv sind«, erklärte Alejandro Linares, Koordinator der Agentur Pulsar in Argentinien, die auf Spanisch und Portugiesisch rund um die Uhr von dem Kongress berichtete. »Die meisten von uns sind über das Engagement in sozialen Bewegungen zum Radio gekommen«, ergänzte Lívia Duarte von Pulsar in Brasilien. In der Praxis komme dann bald das Bedürfnis hinzu, nicht nur anderes, sondern auch qualitativ gutes und professionelles Radio zu machen. »Wir machen eine andere Kommunikation als die kommerziellen Massenmedien, partizipativ, ohne die klassische Trennung von Sender und Empfänger, mit einem anderem Blickwinkel auf die Dinge, ohne politische Manipulation. Gerade deswegen wollen wir das Stigma des ›PPP‹ (poucos, pequenhos, pobres – wenige, kleine, arme Radios) aufbrechen«, betonte Lívia Duarte. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Amarc mehrere Arbeitslinien entwickelt, die in den verschiedenen Regionen unterschiedlich und in Lateinamerika und Asien am meisten entwickelt sind. Dazu gehören die Aus- und Weiterbildung der RadiomacherInnen, Unterstützung bei der Entwicklung einer demokratischen oder kollektiven Geschäftsführung sowie Verwaltung der Radios und die Stärkung der Rolle der Frauen.

Die derzeit wichtigste Aktionslinie ist das Programm zur rechtlichen Unterstützung der Sender und zur Durchsetzung des Rechts auf Kommunikation. In fast allen Ländern leiden die kommunitären und freien Radios unter rechtlichen Rahmenbedingungen, die die nicht-kommerziellen Medien benachteiligen oder schlicht kriminalisieren. Amarc bietet juristischen Beistand in konkreten Fällen und startet Kampagnen bei der Schließung von Radios oder politischer Verfolgung ihrer MitarbeiterInnen.

Zudem hat Amarc Leitlinien für eine demokratische Mediengesetzgebung entwickelt, die mittlerweile von vielen internationalen Organisationen und Gremien bis hin zur UNO anerkannt werden.

Ein wichtiger Aspekt dieser Leitlinien ist die Forderung, die Frequenzen grundsätzlich in drei gleichgroße Sektoren aufzuteilen – den öffentlich/staatlichen, den privat-kommerziellen und den nicht-kommerziellen Bereich. Diese Aufwertung der kommunitären Basismedien wurde in Anlehnung an internationale Menschenrechtskonventionen entwickelt, in denen nicht nur das Recht auf Kommunikation, sondern auch das Recht auf Teilhabe aller an den Medien festgeschrieben ist.

In Lateinamerika, wo insbesondere Länder wie Mexiko oder Brasilien unter einem machtvollen Medienmonopol in Händen weniger Konzerne leiden, hat diese Argumentation schon einige zukunftsweisende Änderungen gebracht. Zuerst in Uruguay und vergangenes Jahr in Argentinien wurden Mediengesetze verabschiedet, die diese Dreiteilung der Frequenzen sowie eine nachhaltige Förderung von Basismedien vorschreiben.

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