Diskussion um Bleiberecht für minderjährige Migranten
Bundesjustizministerin will Jugendliche von Eltern unabhängig machen
Hamburg (Agenturen/ND). Vor der Herbstkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern ist eine Diskussion um ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für bislang nur geduldete minderjährige Migranten entbrannt. Nach Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forderte auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), gut integrierten Kindern und Jugendlichen künftig ein vom Rechtsstatus ihrer Eltern unabhängiges Bleiberecht einzuräumen.
Sie habe bereits ein Eckpunktepapier ausgearbeitet, das als Grundlage für eine neue gesetzliche Regelung dienen könne, sagte Leutheusser-Schnarrenberger dem »Hamburger Abendblatt«. Kindern und Jugendlichen sollte ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nur in Ausnahmefällen verweigert werden. Sie rief die am Donnerstag und Freitag in Hamburg tagenden Innenminister auf, einen Abschiebestopp für Minderjährige zu verhängen und sich für eine Reform des Ausländerrechts auszusprechen. Die schwarz-gelbe Koalition in Berlin könne dann »auch kurzfristig« eine Neuregelung vornehmen.
Ähnlich äußerte sich erneut auch Schünemann. Der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« sagte er, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in Hamburg zusichere, unverzüglich ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, könnten die Landesinnenminister per einstimmigem Beschluss für einen Abschiebestopp für Minderjährige sorgen.
Schulnoten sollen
kein Kriterium sein
Leutheusser-Schnarrenberger sagte, viele ausländische Kinder und Jugendliche wüchsen in Deutschland bislang »unter dem Damoklesschwert der Abschiebung« auf, obwohl sie hier verwurzelt seien. Deshalb sei es längst überfällig, ihnen »Rechtssicherheit« zu geben. Der Aufenthaltsstatus von Minderjährigen richtet sich bisher nach dem ihrer Eltern. Werden diese abgeschoben, müssen auch die Kinder das Land verlassen.
Die von Leutheusser-Schnarrenberger erarbeiteten Eckpunkte sehen laut »Abendblatt« als Voraussetzung einen Mindestaufenthalt in Deutschland von zwei oder drei Jahren sowie das Beherrschen der deutschen Sprache vor. Als Kriterium wird auch »die Einfügung in die Lebensverhältnisse« hierzulande genannt. Das beziehe sich auf Schulausbildung und »Lebensführung«. Im Gegenzug sollten auch Familienangehörige zumindest bis zur Volljährigkeit des Kindes ein Aufenthaltsrecht erhalten, das sich aus dessen Status ableite.
Die von Schünemann vor einigen Tagen ins Gespräch gebrachte Koppelung des Bleiberechts an ein bestimmtes schulisches Leistungsniveau lehnte Leutheusser-Schnarrenberger ab. Noten hätten nicht die Aufgabe, über das Aufenthaltsrecht von Kindern und ihren Familien zu entscheiden. Schünemann hatte unter anderem eine »positive Prognose für einen Schulabschluss« zur Bedingung erklärt.
Scharfe Kritik an Schünemann äußerte auch die Bundestagsopposition. Eine Koppelung des Aufenthaltsrechts an gute Schulnoten bedeute für Kinder und Jugendlichen eine »ungeheure Belastung«, erklärte der flüchtlingspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Josef Winkler. Die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dagdelen, sprach von »Selektion«.
Abschiebstopp nach Kosovo gefordert
Einen Abschiebestopp für Roma und andere ethnische Minderheiten nach Kosovo forderte am Mittwoch Amnesty International von der Innenministerkonferenz. Den Betroffenen drohe in der Region systematische Diskriminierung und Verfolgung, erklärte die deutsche Generalsekretärin Monika Lüke in Berlin. Amnesty-Recherchen vom Sommer 2010 belegten, dass Roma, Aschkali und Ägypter nach ihrer Rückkehr oft nicht wissen, wo sie wohnen sollen. Ihnen bleibe »oft nur der Unterschlupf bei Bekannten, die Straße oder ein Übergangslager«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.