Geheimdienst des Volkes
Wo genau Julian Assange die Reaktionen auf die jüngsten Enthüllungen seines Internetportals verfolgt, weiß man nicht. Denn der Mitbegründer und Medienkopf von Wikileaks ist untergetaucht. Ein schwedisches Berufungsgericht hat in der Vorwoche den Haftbefehl wegen Vergewaltigung gegen ihn bestätigt. Auch wenn die Staatsanwaltschaft die Anklagepunkte abschwächte, der 39-Jährige hat die im August dieses Jahres laut gewordenen Vorwürfe stets vollständig bestritten und von einer Schmutzkampagne gegen ihn und Wikileaks gesprochen.
Nach der Veröffentlichung vertraulicher Berichte des Washingtoner Außenministeriums könnten nun weitere strafrechtliche Schritte hinzukommen. Während in den USA noch darüber debattiert wird, wie weit das gern beschworene Gut der Meinungs- und Informationsfreiheit in diesem Fall schützenswert sei, denkt man in Canberra schon konkret an ein Ermittlungsverfahren gegen den australischen Staatsbürger Assange. »Wir glauben, dass es eine Reihe von Gesetzesverstößen gegeben haben könnte«, sagte Generalstaatsanwalt Robert McClelland am Montag. »Die australische Bundespolizei hat das im Blick.« Schon im Juli setzte die Regierung eine Arbeitsgruppe ein, um die Folgen von Wikileaks-Enthüllungen zu prüfen.
Vor vier Jahren gegründet, sorgte die Enthüllungsplattform vor allem in diesem Jahr mit Veröffentlichungen geheimer US-amerikanischer Dokumente zu den Kriegen in Irak und in Afghanistan für weltweite Schlagzeilen. Die Plattform, die sich selbst als »ersten Geheimdienst des Volkes« sieht, will Missstände öffentlich machen und Regierungen zu mehr Transparenz zwingen. Mit ihrem Namen lehnt sich die Website bewusst an das offene Online-Nachschlagewerk Wikipedia an, bei dem Nutzer selbst Artikel beisteuern oder korrigieren können. Das englische »Leak« bedeutet auf Deutsch Leck und bezeichnet undichte Stellen bei Behörden, über die geheime Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.
Als Quelle für die rund 250 000 Dokumente des State Department, die jetzt im Internet zugänglich gemacht wurden, gilt der Obergefreite Bradley Manning, der als Sicherheitsspezialist der US-Streitkräfte in Irak Zugang zum Secret Internet Protocol Router Networks hatte und die Daten auf einer selbst gebrannten CD mit dem schönen Titel »Musik von Lady Gaga« mit nach Hause nahm.
Weil das normale Internet für den Transport geheimer Regierungsdokumente viel zu unsicher erschien, ordnete das Pentagon 1991 den Aufbau von SIPRNet an. In diesem geheimen Netzwerk sollten Papiere des Außen- und des Verteidigungsministeriums bis zur zweithöchsten Geheimhaltungsstufe sicher übermittelt werden. »Schwache Server, unzureichende Aufzeichnungen (der Aktivitäten im Netz), schwacher Zugriffsschutz, schwache Spionageabwehr, nachlässige Signalanalyse... ein komplettes Desaster«, lautet dagegen das vernichtende Urteil Mannings.
Er soll schon jenes Bordkamera-Video nach draußen geschmuggelt haben, auf dem zu sehen ist, wie im Jahr 2007 in Irak elf Zivilisten – darunter zwei Mitarbeiter der Nachchtenagentur Reuters – aus einem US-Kampfhubschrauber heraus kaltblütig erschossen wurden. Der 23-Jährige ist im Mai festgenommen und am 5. Juli 2010 nach US-amerikanischem Militärrecht wegen Geheimnisverrats angeklagt worden. Sollte er schuldig gesprochen werden, drohen ihm bis zu 52 Jahre Haft.
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