Puritanismus und Systemkritik
Gabriel Kuhn informiert über »Straight Edge«
Hardcore-Punk – diese Bewegung wird gewöhnlich mit schneller Musik, politisch engagierten Texten und einem nihilistischen Lebensstil inklusive häufiger Drogen- und Alkoholexzesse in Verbindung gebracht. Das zumindest letzteres nicht immer zutreffend ist, zeigt »Straight Edge«, eine eigenständige Bewegung innerhalb der heterogenen Hardcore-Szene. Ihre Anhänger trinken keinen Alkohol, rauchen nicht, konsumieren keine Drogen und lehnen Promiskuität ab. Einige von ihnen propagieren eine vegetarische Ernährungsweise, manche vertreten radikalökologische Positionen und andere fühlen sich dem Anarchismus verbunden. Gabriel Kuhn, selbst jahrelang in der Szene aktiv, hat nun ein kleines Buch über Straight Edge vorgelegt. Darin beschreibt er kurz und knapp Entstehung und Geschichte sowie inhaltliche Unterschiede der Bewegung.
Hardcore entwickelte sich Anfang der 1980er Jahre in den USA aus der Punk-Rock-Bewegung. Die Musik wurde schneller, direkter und legte an Aggressivität zu. Innerhalb der Hardcore-Szene brachen einige mit den gängigen Punk-Rock-Klischees und schlugen einen völlig neuen Weg ohne Drogen und Alkohol ein. Deshalb wird Straight Edge oft auch als »Protestbewegung einer Protestbewegung« bezeichnet. Der erste bekennende Straight-Edger war Ian MacKaye, Sänger der Band »Minor Threat« aus Washington, D.C. Er schrieb 1981 den Song »Straight Edge«, in dem er den Rauschmittelkonsum der damaligen Szene anprangerte.
Starke Ideologisierung der Bewegung
Gabriel Kuhn geht auf unterschiedliche Strömungen innerhalb der Bewegung ein, die sich nach Minor Threat zuerst in den USA und dann besonders in Europa entwickelten. Er beschreibt den sogenannten Krishnacore, deren Anhänger sich auf die indische Krishna-Religion bezogen, gibt über die Vegan-Straight-Edger Auskunft, die einen Lebensstil ohne den Konsum tierischer Produkte in der Szene zum Thema machten, und porträtiert die Hardline-Bewegung, die eine starke Ideologisierung der veganischen Strömung war und eindeutig an rechte Politik andockte.
Die Bewegung um Gründer Sean Muttaqi hatte in den neunziger Jahren in der Szene einigen Einfluss. Die Hardliner propagieren die »Reinheit des täglichen Lebens« und machen radikal gegen Homosexualität und Abtreibung Front. Die »natürliche Lebensweise« müsse gegen »Lebensverletzer« und »Lebenszerstörer« gewaltsam verteidigt werden. Eine Haltung, die gegen die Toleranz der ursprünglichen Szene fundamental verstieß.
Politisch schwankt Straight Edge bis heute zwischen puritanischer Enthaltsamkeit und fortschrittlichen, kapitalismuskritischen Idealen. Kuhns Verdienst ist es, dass er linke wie rechte Tendenzen herausarbeitet und Vertreter der meisten Strömungen zu Wort kommen lässt. Dabei hält er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, sondern positioniert sich für eine »linke Straight-Edge-Kultur«. Für ihn geht es nicht um das Propagieren einer Ideologie, sondern »um den Beweis, dass der Verzicht auf Drogen nicht konservativ sein muss, sondern dass Werte mit ihm verbunden sein können, die in einem linken Kontext Bestand haben.« Besser hätte es Ian MacKaye wohl selbst nicht ausdrücken können.
Gabriel Kuhn: Straight Edge – Geschichte und Politik einer Bewegung, 80 Seiten, Unrast Verlag, 7,80 Euro.
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