Das bessere Wasser aus Sankt Pauli
Die Hamburger Initiative »Viva con Agua« engagiert sich für die Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern
Viva con Agua de Sankt Pauli heißt der Hamburger Verein des früheren St.Pauli-Kickers Benny Adrion. Er und seine Freunde sammeln seit vier Jahren sehr erfolgreich Spenden für sauberes Trinkwasser rund um den Globus. Mittlerweile haben sie ihr eigenes Wasser auf den Markt gebracht. »Trinken für den guten Zweck« lautet das Motto.
»Laut« beziehungsweise »leise« steht unterhalb des Markennamens auf den beiden Flaschen – und darüber prangt das Logo mit der von einem Wassertropfen umgebenen Erdkugel. Die Flaschen und das markante Logo sind in Hamburg immer öfter zu sehen. Nicht nur in Kneipen und Restaurants, sondern auch als Graffiti auf so manchem Rollladen auf St. Pauli sowie in der größten Drogeriekette des Nordens. Die haben die Flaschen in »laut« und »leise« – einmal mit und einmal ohne Kohlensäure – im Sortiment und in den ersten paar Monaten gingen etliche Zehntausend davon über den Ladentisch, erklärt Christian Wiebe. Er ist Pressesprecher der Wasserwerker um Benjamin Adrion, und der Erfolg des eigenen Wassers ist ein Grund zu Feiern. Drei Jahre hat das sechsköpfige Team von Viva con Agua auf diesen Tag hingearbeitet.
Vom Fußball zum Wasser
Schon 2007, als die Trinkwasserinitiative aus Hamburg-Sankt Pauli eine ihrer ersten Auszeichnungen verliehen bekam, standen die Wasserflaschen mit dem Viva con Agua-Logo auf den Tischen. »Damals dachten wir allerdings, dass es wesentlich schneller gehen würde mit dem eigenen Quellwasser«, erklärt Benjamin Adrion, der 29-jährige Initiator des Trinkwasservereins aus Hamburgs populärem Stadtviertel.
Auf die Idee zum Wasserspender zu mutieren, kam der gebürtige Stuttgarter mit dem strubbeligen blonden Vollbart und dem ansteckenden Lachen auf dem legendären Trainingslager des FC. St Pauli in Kuba.
2005 reiste die Regionalligamannschaft zum Trainieren auf die Insel. Profifußballer Adrion fiel auf, wie selten – trotz aller Hitze – Wasserspender auf der Insel zu sehen sind. Zurück in Deutschland fasste er sich ein Herz und rief bei der Deutschen Welthungerhilfe an und stellte den Entwicklungsexperten seine Idee vor. »Wasserspender in Kindergärten und Sportstätten wollten wir aufstellen, ein bisschen helfen«, erinnert sich Adrion.
Hinter dem »wir« verbargen sich seine Kumpels aus der Wohngemeinschaft. Die waren mit von der Partie als der damals 25-jährige Berufskicker auf seinem Laptop die ersten Basics zur Trinkwasserproblematik recherchierte. So gewann die spontane Idee an Kontur und dann tätigte er den folgenschweren Anruf bei der Welthungerhilfe. Die deutsche Entwicklungshilfeorganisation unterhält ein Büro in Havanna und war daher idealer Ansprechpartner. »Als deren Experten das Trinkwasser-Projekt mit 50 000 Euro veranschlagten, schlotterten mir erstmal die Knie«, erinnert sich Adrion und fährt mit der Hand durch den Rauschebart. »Woher sollte das Geld denn kommen, fragten wir uns damals«, erinnert sich der Ex-Fußballprofi. Ein konkretes Hilfsprojekt war Neuland, doch dann begann Adrion mit seinen Freunden, die wie Christian Wiebe zumeist bis heute dabei sind, zu rotieren. Mit Spendenläufen, Solidaritätskonzerten, Lesungen und anderen kulturelle Aktivitäten sammelten die Wasseraktivisten Euro für Euro. Nach neun Monaten war die anfangs astronomische Summe zusammen und das sorgte für einen ordentlichen Schub bei den Wasserwerkern aus St. Pauli.
»Da ist es richtig ins Rollen gekommen. Wow, was für eine Dynamik steckte da auf einmal dahinter. Es war beeindruckend, welche Entwicklungsmöglichkeiten plötzlich zum Vorschein kamen«, erinnert sich Benjamin, genannt Benny Adrion. Der hat die Fußballschuhe an den berühmten Nagel gehängt und ist jetzt einer der Geschäftsführer der GmbH, die das Wasser vertreibt. Der Bezug zum Millerntor, der Spielstätte des FC. St Pauli, dass nur einen strammen Schuss vom Büro am Neuen Kamp entfernt liegt, ging allerdings nicht verloren, als der Profivertrag 2006 auslief. Da kam die Arbeit mit Viva con Agua de Sankt Pauli gerade recht.
Die Welthungerhilfe hatte nach dem erfolgreichen Auftakt Lust, die Arbeit mit der ungewöhnlichen Truppe zu intensivieren. Äthiopien, Benin, Ruanda, Madagaskar und Nicaragua hießen die nächsten Etappen der Zusammenarbeit und ein neues Projekt läuft derzeit in Uganda. Brunnen werden dort gebohrt und Wasserstellen eingefasst, aber auch Sanitäranlagen gebaut, so Christian Wiebe. Der ist ausgesprochen zufrieden, denn das Spendenaufkommen dürfte im laufenden Jahr um etwa zehn Prozent über dem Niveau von 2009 liegen. Mit 400 000 Euro rechnet Wiebe. Geld, dass gut investiert wird. Derzeit konzentrieren sich die Brunnenbauer aus St. Pauli auf den schwarzen Kontinent. »Bis zu achtzig Meter tief muss man in Äthiopien bohren, um an Wasser zu kommen. Die Freude der Menschen ist kaum zu beschreiben, wenn sie endlich über eigenes sauberes Trinkwasser verfügen«, berichtet Adrion mit leuchtenden Augen. 2008 besuchte er das Dorf Sodo und in diesem Jahr war es Popsänger Sasha, der sich dort das Wasserprojekt anschaute.
Mitmachen und mitwirken
Knappes Trinkwasser ist nicht nur in Afrika ein essenzielles Problem, sondern weltweit. Eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und an dieser Realität will die Hamburger Initiative etwas ändern. Für Hans Bailer, den Afrikarepräsentanten der Welthungerhilfe, eine willkommene Unterstützung. Nicht nur weil die Wasseraktivisten um Adrion für jedes Projekt rund 50 000 Euro einsammeln, sondern weil sie ganz andere Bevölkerungsschichten für die Wasserproblematik sensibilisieren und aktivieren – junge Leute. Der Grundgedanke hinter dem Verein ist nämlich der des offenen Netzwerks.
»Jeder kann sich bei Viva con Agua engagieren und seit der Gründung des Vereins im Oktober 2006 haben sich in vielen Städten Zellen gebildet.« Die stellen eigene Projekte auf die Beine, tragen die Idee mit spektakulären Aktionen weiter, wie dem Wassermarsch von 2008, wo es deutschlandweit Aktionen, Konzerte und Events im Zeichen des Tropfens mit der Weltkugel gab. Heute gibt es Außenstellen in Berlin, Kassel, München, der Schweiz und Barcelona. Auch ein spanischer Kooperationspartner für Trinkwasserprojekte dürfte in absehbarer Zeit präsentiert werden.
Für ein mehr an Öffentlichkeit und Berichterstattung sorgen dabei eine ganze Reihe von Prominenten, die sich für sauberes Trinkwasser engagieren. Popbarde Sasha, Reggaestar Gentleman, die Sportfreunde Stiller oder Schauspielerin Marianne Sägebrecht gehören neben vielen anderen dazu und sorgen gemeinsam mit den Kickern von FC St. Pauli für zusätzliche Aufmerksamkeit. Ein Konzept, das den Wasserwerkern um Adrion eine ganze Reihe von Auszeichnungen, darunter auch das Bundesverdienstkreuz, eingebracht hat. »Wir sind Bundesverdienstkreuz«, heißt es daher auch im Hauptquartier von Viva con Agua und ausdrücklich betont Initiator Adrion, dass erstmals ein Netzwerk eine derartige Ehrung erhalten habe. Alle, die sich für die Initiative engagiert haben, sind somit seit der Verleihung im Oktober 2009 Preisträger. Die steht mittlerweile ganz anders da als am Anfang: »Heute ist der Verein nicht mehr ein Projekt, dass von einer Welle der Euphorie getragen wird, denn wir haben Strukturen aufgebaut.« Die Flaschen mit dem Logo symbolisieren das, denn mit dem eigenen Quellwasser haben die Wasserwerker die Arbeit auf eine neue Basis gestellt.
Dazu war es nötig, neben einer eigenen Vertriebs GmbH auch die Viva con Agua-Stiftung aus der Taufe zu heben. Die hält mit dem Verein die Mehrheit an der GmbH und das innovative Konstrukt sorgt dafür, dass das Gros der Gewinne aus dem Verkauf dauerhaft in konkrete und langfristige Trinkwasserprojekte fließt, so Adrion, der übrigens der Sohn des gleichnamigen U-21-Nationaltrainers ist. Selbst für die Anschubfinanzierung der Stiftung müssen keine Spendengelder herhalten – dafür kommen private Gesellschafter wie Bela B. von der Berliner Punkband »Die Ärzte« auf. Ein neues Geschäftsmodell, ein social business, wie es Adrion nennt. »Mit unseren Gewinnen tragen wie zur Lösung der Trinkwasserproblematik bei«, erklärt er seinen Ansatz. Den gibt Hamburgs professioneller Wasserspender auch weiter, denn Nachahmer sind ausdrücklich erwünscht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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