Was stört Sie am Bahn-Festakt?

Hans-Rüdiger Minow fordert Entschädigung für Deportationsopfer / Der Vorstandssprecher »Zug der Erinnerung« ruft zur Samstagsdemo vor dem DB-Museum in Nürnberg, 12.30 Uhr

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig – Was stört Sie am Bahn-Festakt?

ND: Warum wollen Sie respektive Ihr Verein »Zug der Erinnerung« einen Festakt der Bundesregierung in Nürnberg zum 175. Jahrestag der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth stören?
Minow: Wir wollen unser Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen, um der Millionen zu gedenken, die mit der NS-»Reichsbahn« in die Lager verschleppt worden sind. Wenn unsere Aktivitäten die Erben der »Reichsbahn« dabei stören, ihre moralische und historische Taubheit aufrecht zu erhalten, so ist das gewollt.

Seit wann gibt es die Forderung zur Wiedergutmachung der Überlebenden der Deportationen durch die Deutsche Bahn?
Die Überlebenden warten darauf seit fast 70 Jahren. Nur unter ausländischem Druck hat die DB AG einen Teil der Zwangsarbeiter der »Reichsbahn« entschädigt – einen geringen Teil. Zehntausende haben bis heute keinen Cent erhalten. Und die Deportationsopfer, die nicht in die Zwangsarbeit gepresst, sondern von der NS-»Reichsbahn« direkt in die Vernichtungslager verschleppt wurden, betrachten DB AG und Bundesregierung bis heute als nicht entschädigungsberechtigt.

Die Erben des Mordkomplexes NS-»Reichsbahn« behandeln die überlebenden Opfer wie Bettler. Seit 2009 liegt ein Gutachten auf dem Tisch, das die Schulden der Erben beziffert: mindestens 445 Millionen Euro, ohne Zinsen.

Mit welcher Begründung verweigert sich die Bahn?
Das Unternehmen hält sich für vollkommen unbelastet. Es sei 1994 neu gegründet worden und damit ohne größere Vergangenheit. Andererseits feiert dasselbe Unternehmen in diesen Tagen 175 Jahre deutsches Eisenbahnwesen. Es stellt sich in die Tradition der Geschichte, will aber materielle Verantwortung für deren Opfer nicht annehmen. Tatsache ist: Die DB AG befindet sich zu 100 Prozent im Besitz der Bundesregierung. Mehrere Staatssekretäre sitzen in den Aufsichtsgremien der DB. Damit vertreten Sie die zweifelsfreie Erbin der »Reichsbahn«: die Bundesrepublik Deutschland. Bei Bahn und Bundesregierung handelt es sich um ein und denselben gesellschaftlichen Komplex.

Wegen »unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung«, gemeint ist Ihre Abschlusskundgebung, wurde für Teile der Nürnberger Innenstadt Versammlungsverbot verhängt, zum Schutz des Bahn- und Bundes-Festaktes. Hat es Bestand?
Nein. Wir haben einen Eilantrag beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht. Erfolgreich. Wir werden vor dem DB-Museum ein Zeichen setzen. Dieses Museum ist der richtige Ort. Dort werden von der Deutschen Bahn Exponate dargeboten, die man für NS-Devotionalien halten kann. Es wird Täterwissen verbreitet, statt die Geschichte der Deportationen aus der Perspektive der Opfer zu erzählen. Unsere Erinnerung kann man nicht zum Schweigen bringen. Je länger die Erben mit der Restitution der Opfer warten, desto größer wird ihre Schande.

Preisen wird die Kanzlerin auf dem Festakt am 7. Dezember wohl auch Friedrich List, den Vater des deutschen Eisenbahnwesens. Ich bin gespannt, ob sie dessen aktuell anmutende Klage zitiert über eine »vom Volk ausgeschiedene, über das ganze Land ausgegossene und in den Ministerien konzentrierende Beamtenwelt, unbekannt mit den Bedürfnissen des Volkes und … jeder Einwirkung des Bürgers, gleich als wäre sie staatsgefährlich, entgegenkämpfend«.
Man wird sehen. Zu unserer Kundgebung kommen übrigens auch Opfer der NS-Deportationen.

Fragen: Karlen Vesper

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -