Irland fürchtet Rückkehr in die Armut
Heftiger Sparkurs der Regierung lässt Inselbewohner düster in die Zukunft blicken
Peter Tobin hat sich genau ausgerechnet, mit wie viel weniger Geld er und seine kleine Familie nächstes Jahr auskommen müssen. »Ich schätze, wir werden so etwa 130 Euro weniger im Monat haben«, sagt der 26-Jährige, von Beruf Straßenkehrer in Irlands Hauptstadt Dublin, und Vater einer drei Jahre alten Tochter. »Ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen.«
So wie er kommen dieser Tage viele in Irland ins Rechnen. Denn die drastischen Sparmaßnahmen, mit der die Regierung die gebeutelten Finanzen wieder auf Kurs bringen will, treffen so gut wie alle. Und sie rufen Erinnerungen an bitterarme Zeiten auf der Insel wach.
Finanzminister Brian Lenihan beteuerte bei der Vorstellung des Haushalts für 2011 vergangene Woche, er habe keine andere Wahl, als sechs Milliarden Euro einzusparen. Knapp bekam er die Zustimmung des Parlamentes – der erste Schritt des Sparhaushaltes ist damit getan. Irlands Haushaltsdefizit wird in diesem Jahr den Rekordwert von 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen und damit das größte im Euroraum sein. Die Banken, die die Krise mit ausgelöst hatten, brauchen trotzdem weiter Geld.
Doch nicht nur muss Lenihan den Staat vor dem Bankrott retten, er muss auch die Bedingungen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds IWF erfüllen, die Finanzhilfe von 85 Milliarden Euro zugesagt haben.
Bis 2014 will Irland 15 Milliarden Euro eingespart haben. Das mag sich für eine riesige Volkswirtschaft wie Deutschland wenig anhören, doch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble rechnete das Ganze in eine vorstellbare Dimension um. Die von Dublin zugesagten Kürzungen und höheren Einnahmen entsprächen rein rechnerisch in Deutschland einem Volumen von 225 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der deutsche Haushalt 2011 sieht insgesamt Ausgaben von rund 305 Milliarden Euro vor. Zwar kann Lenihan nach eigener Aussage nicht anders, als die Steuern zu erhöhen, Sozialabgaben zu kürzen und sogar an das Kindergeld zu gehen. Er versprach aber, dass alles zumindest gerecht ablaufen solle: »Jeder zahlt, und wer mehr zahlen kann, zahlt mehr.«
Das allerdings sehen die Opposition, Gewerkschaften und Hilfsorganisationen anders. Denn gerecht ist an diesem Haushalt nach Ansicht Vieler nichts. Die größten Schmerzen müssten die Leute auf den untersten Stufen der Einkommensleiter aushalten, schrieb etwa die Zeitung »Irish Times«. Der Haushalt zeige, dass die Regierung entweder »nackte Angst« vor den internationalen Finanzhelfern habe, oder aber eine »Abgestumpftheit gegenüber Armut und Elend«, die beschämend sei.
Vor dem Parlament in Dublin machten Demonstranten ihrem Ärger Luft. »Herr Minister, sie haben das Elend von Kindern und armen Familien verschlimmert«, sagte Norah Gibbons von der Kinderhilfsorganisation Barnardos. Demonstrantin Sandra Doran gab der Wut vieler Ausdruck: Es sei ungerecht, dass alle Iren nun für das Versagen der Banken zahlen müssten.
Auch Premierminister Cowen weiß, was das Sparen für die Menschen bedeutet. Er entschuldigte sich am Mittwoch sogar in einem Interview mit dem irischen Sender RTE. »Niemandem tut das ganze mehr leid als mir«, erklärte er. Doch auch für ihn bringt das kommende Jahr möglicherweise eine Änderung. Neuwahlen stehen an, und die Chancen der Regierungskoalition aus Fianna-Fáil-Partei und den Grünen sehen nach dieser Sparaktion nicht gerade rosig aus.
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