Neue Spielregeln: Krankenkassen verlangen 2011 höhere Zuschüsse

Versicherungen

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Das kommende Jahr bringt Neuerungen für die Versicherten. Die wichtigste Änderung: Die gesetzliche Krankenversicherung wird auf ein neues System umgestellt, und sie wird teurer.

2011 wird das Leben von rund 70 Millionen Kassenpatienten verändern. Für den Chef der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, führt die schwarz-gelbe Koalition eine Drei-Klassen-Medizin ein. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, kritisiert

die Regierung, weil sie die Privatversicherungen begünstigt, und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wirft der Koalition vor, die Spaltung des Landes zu vertiefen.

Die Kassenfinanzreform von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sieht für 2011 unter anderem vor, dass der Wechsel zur Privatversicherung erleichtert und die Vorkasse gestärkt wird. Patienten zahlen dann die Rechnung selber und erhalten im Durchschnitt nur die Hälfte der Summe von ihrer Krankenkasse zurück.

Im Mittelpunkt des »Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung«

steht jedoch eine Beitragserhöhung. Und diese wird nur teilweise von den »Arbeitgebern« mitfinanziert. Hier liegt der Kernpunkt der Kritik. Das deutsche Krankenversicherungssystem basiert eigentlich auf einer paritätischen Finanzierung durch »Arbeitgeber« und »Arbeitnehmer«. Dieses System gilt einerseits als sozial ausgewogen, andererseits erhöht jede Beitragserhöhung die Lohnkosten der Unternehmen.

Durch einige Reformen in den zurückliegenden Jahren wurde das paritätische Modell allerdings bereits unausgewogen. Dieser Trend wird nun fort- und festgeschrieben. Zudem werden 2011 mit einem Zusatzbeitrag wieder nur die Arbeitseinkommen zur Finanzierung herangezogen – ohne Einnahmen aus Kapitalerträgen, Mieten und Pachten. So kann ein Hauseigentümer hohe Mieteinnahmen kassieren und durch eine kleine Nebenbeschäftigung seinen Beitrag drücken.

Steigende Beiträge

Für 2011 erwartet die Bundesregierung ein Defizit der Krankenkassen von neun Milliarden Euro. Um das mögliche Loch zu stopfen, steigt der Beitragssatz für gesetzlich Krankenversicherte von Januar an um 0,6 Punkte. Diese Erhöhung zahlen je zur Hälfte Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Soweit, so paritätisch. Der Beitragssatz steigt dadurch auf insgesamt 15,5 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens (von bis zu 3712,50 Euro im Monat).

Von diesen 15,5 Prozent zahlen die Beschäftigten jedoch dann 8,2 Prozentpunkte, die Arbeitgeber nur 7,3 Punkte. Bei einem Gehalt von 1500 Euro macht die Erhöhung neun Euro im Monat aus, bei einem Gehalt von 2000 Euro zwölf Euro, bei 2500 Euro 15 Euro und bei einem Verdienst an der Bemessungsgrenze von 3712,50 Euro 22,28 Euro mehr im Monat. Diese Beträge teilen sich Beschäftigte und Unternehmen.

Insgesamt fließen dadurch im kommenden Jahr schätzungsweise 6,3 Milliarden Euro zusätzlich in den Gesundheitsfonds, aus dem dann wiederum die Kassen finanziert werden.

Doch salopp formuliert, Finanzlöcher kommen und gehen. Von nachhaltiger Wirkung ist jedoch ein anderer Punkt: Der Arbeitgeberbeitrag wird auf dem neuen Niveau von 7,3 Prozent des Gehalts eingefroren.

Zusatzbeitrag mit Sonderkündigungsrecht

Kommt die Krankenkasse mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht aus, muss sie ihre höheren Kosten durch einen Zusatzbeitrag decken. Der wird dann von allen Kassenmitgliedern erhoben. Das praktizieren einige Kassen bereits. Neu ist: Dieser Zusatzbeitrag ist in seiner Höhe nicht mehr wie bisher begrenzt!

Dahinter steht die Absicht der schwarz-gelben Koalition, künftige Kostensteigerungen vor allem aus diesem Zusatzbeitrag finanzieren zu lassen. Auf diese Weise, so die Regierung, sollen die Arbeitskosten der Unternehmen entlastet werden.

Beschäftigte und Rentner werden also künftig zwei Kassenbeiträge bezahlen:

– einen allgemeinen über den Arbeitgeber an den Gesundheitsfonds und

– einen individuellen, dessen Höhe sich nach dem finanziellen Bedarf der gewählten Krankenkasse richtet.

Mögliche Kostensteigerungen im Gesundheitswesen werden so in Zukunft durch Zusatzbeiträge der Versicherten finanziert werden. »Auf Grund der verbesserten Einnahmesituation ist für 2011 noch nicht damit zu rechnen«, versucht die Bundesregierung zu beruhigen. Steigen aber die Krankenkassenausgaben in den Folgejahren schneller als die Beitragseinnahmen, entscheiden die Krankenkassen, ob und wie hoch sie Zusatzbeiträge verlangen.

Unser Tipp

Erhebt Ihre Krankenkasse 2011 oder in den Folgejahren erstmalig einen Zusatzbeitrag oder erhöht den bestehenden Zusatzbeitrag, so können Sie sofort kündigen und in eine andere Kasse wechseln.

Normalerweise beträgt die Kündigungsfrist mindestens zwei Monate. Durch das außerordentliche Kündigungsrecht haben Sie jedoch ein Mittel an der Hand, sich schnell für eine preiswertere Krankenkasse zu entscheiden.

Der Zusatzbeitrag kann bis zu zwei Prozent des Bruttoeinkommens betragen. Bis dahin muss der Arbeitnehmer allein dafür aufkommen. Ansonsten gibt es einen Sozialausgleich. Er greift, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei Prozent des individuellen sozialversicherungspflichtigen Einkommens übersteigt. Dann gilt das Kassenmitglied dem Gesetzgeber als »überfordert«. Es hat Anspruch auf eine Ermäßigung seines Arbeitnehmerbeitrages. Die Einnahmelücke, die dadurch entstehen dürfte, soll aus Steuermitteln geschlossen werden.

Übrigens: Wer den Zusatzbeitrag verweigert, zahlt mindestens 20 Euro Strafe und bekommt keinen Sozialausgleich.

Weitere Informationen über die Reform der Krankenkassenfinanzen finden Sie auf der Internetseite des Bundesministeriums für Gesundheit: www.bundesgesundheitsministerium.de

Private Krankenversicherung

Gesetzliche Kassen dürfen auch weiterhin Zusatzversicherungen anbieten, die Einbettzimmer oder Chefarztbehandlung versprechen. Zum Ärger der Privaten. Doch mit ihrer Gesundheitskostenreform stärkt die Bundesregierung in einigen Punkten durchaus die private Krankenversicherung (PKV). Arbeitnehmer, die 2011 ein Gehalt oberhalb der Pflichtversicherungsgrenze von 49 500 Euro im Jahr oder 4125 Euro im Monat beziehen, können künftig wieder in die PKV wechseln, wenn sie diese Grenze ein Jahr (zuletzt drei Jahre) überschritten haben.

Die gesetzlichen Kassen könnte das einen dreistelligen Millionenbetrag an Beiträgen kosten. Obendrein werden die privaten Krankenversicherer künftig an Einsparungen beteiligt, welche die weit größeren gesetzlichen Kassen durch Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie erzielen. Indirekt profitieren davon auch Bund und Länder, durch niedrigere Beihilfen für privat versicherte Beamte.

Die wichtigsten Änderungen für Privatversicherte zum Jahreswechsel finden Sie unter

www.pkv.de/positionen/gesundheitsreform-neuregelungen-2010

Änderungen für Autofahrer

Ab Mitte 2011 soll für die Autofahrer das sogenannte Wechselkennzeichen kommen. Auf nur ein Nummernschild sollen demnach bis zu drei Fahrzeuge angemeldet werden können. Angeblich sollen Autofahrer dadurch bei Steuern und Versicherungen sparen.

Nur wenige Versicherte wird eine Änderung in der privaten Altersvorsorge betreffen. Rürup-Verträge sollen künftig nur noch steuerlich absetzbar sein, wenn sie zertifiziert sind. Für die Unfall- und Allgemeine Haftpflichtversicherung sowie die Lebensversicherung sind keine Änderungen für 2011 in Sicht.

HERMANNUS PFEIFFER

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