»Das Sich-Ablenken-Lassen durch technischen Kleinkrams ist der größte Feind des Dichters«
Der Kabarettist Thomas Pigor über unser kompliziertes Abhängigkeitsverhältnis zum Computer, über markenchauvinistische Kleinstaaterei und Myriaden von Spezialsteckern
Pigor: Aber hallo! Gerade eben habe wieder ich meinen Rechner beleidigt, weil ich geschlagene sieben Minuten brauchte, bis ich eine acht Jahre alte Songdatei öffnen konnte. »Logic 8« liest nämlich keine »Logic 5«-Dateien. Deshalb muss man das Programm beenden und »Logic 7« hochfahren. Den Song laden und als »Logic 7«-Datei abspeichern. »Logic 7« runterfahren und dann wieder »Logic 8« starten, welches die »Logic 7«-Dateien liest. Dann den Song neu laden und dann als »Logic 8« abspeichern. Da fährt man schonmal aus der Haut, denn das kommt immer wieder vor. Ich habe Dutzende von alten Songs. Obwohl der Rechner selber gar nichts dafür kann. Ich werde mich bei ihm entschuldigen müssen.
Wird der Computer Ihre Entschuldigungsbitte akzeptieren?
Ich hoffe es, denn wenn er wieder anfängt zu bocken, bin ich aufgeschmissen. Was vor zwanzig Jahren noch aussah wie eine klare Master/Slave Beziehung, hat sich inzwischen zu einem komplizierten Abhängigkeitsverhältnis entwickelt, dessen Regeln immer noch im Fluss sind. Seine Servilität und seine Behauptung, immer nur das Beste für mich zu wollen stehen im Gegensatz zu seinen Launen, seiner Sprunghaftigkeit und seinem Hang zur Bevormundung. Der agile Sklave ist zum eigensinnigen Majordomus geworden. Man muss ihn umsichtig behandeln, aber auch hin und wieder klare Grenzen setzen.
Bisher galt als ausgemacht: Der Kapitalismus mag unsozial sein, er bringt aber viele tolle Produkte in hoher Stückzahl hervor, ist innovativ und effizient. Sie jedoch sehen die Probleme im Mensch-Maschine-Verhältnis auch als »eine Folge der vermaledeiten Marktwirtschaft«. Warum?
Die Entwicklung und der Verkauf dieser faszinierenden Produkte unterliegt nunmal den marktwirtschaftlichen Mechanismen und schafft Umständlichkeiten, Verlangsamung und Fehlerquellen, die technologisch gar nicht notwendig wären. Die Obsoleszenzpolitik, das heisst das Entwickeln von immer neuen Formaten, die die alten bewusst ausgrenzen, das zwanghafte Lancieren neuer, gar unausgereifter Produktversionen ohne wirkliche Verbesserung, die »markenchauvinistische Kleinstaaterei«, das heisst die Myriaden von Formaten und Spezialsteckern, die Belästigung durch Werbeeinblendungen, das Schaffen von Produktlinien, die den Verbraucher in Abhängigkeiten zwingt: Das alles sind mehr als Schönheitsfehler dieser zugegebenermaßen atemberaubenden Dynamik. Aber wir User möchten ja unsere Produkte möglichst billig, wenn nicht gar umsonst bekommen. Also lassen wir uns auf den Zirkus ein. Ein IT-Entwickler, der für die NASA arbeitet, erzählte mir mal, dass ihre Software sich nicht nur keine Fehler erlauben darf, sondern auch mit 30 Jahre alten Systemen kommunizieren können muss. Aber genau das sei eben richtig teuer. Vermaledeite Marktwirtschaft... (Thomas Pigor grinst)
Apropos NASA, apropos Obsoleszenz – vom Schriftsteller Norman Mailer ist das folgende wunderschöne Bonmot aus dem Jahre 1969 überliefert: Zwar waren alle, oder fast alle, amerikanischen Produkte in den Jahren nach dem Krieg qualitativ immer schlechter geworden, und der Ausdruck »planned obsolescence«, nämlich eingeplantes rasches Unbrauchbarwerden von Produkten zwecks Umsatzbelebung, war zu einem beschönigenden Ausdruck für miserable Handwerksarbeit, geradezu zynische Kosteneinsparungen, angeschwollene Werbeetats, Unfähigkeit und allgemeine Gleichgültigkeit geworden, aber hier war nun wenigstens ein Produkt, auf das Amerika stolz sein konnte: Es ragte hoch auf wie ein stolzes Schloss und war so präzise wie eine exquisite Uhr. Das »stolze Schloss« war die NASA-Rakete Saturn V, die vor 41 Jahren die beiden ersten Männer zum Mond transportierte. Was ist denn die Saturn V der heutigen Tage?
Nun, ich glaube die Saturnrakete ist der offensichtliche Ausdruck der phallokratischen Ära und damit inzwischen obsolet geworden. Die Saturn V von heute sieht anders aus: Ich denke, sie ist eine dezentrale Struktur mit hohem Vernetzungsgrad und bietet unendlich viel Spielraum für Kreativität, gutes und schlechtes Handwerk. Sie ist interaktiv, verspielt und ein wichtiges Element für die demokratische Willensbildung. Sie ahnen wovon ich spreche: Von der deutschen Kleinkunstszene...
...die allerdings ohne Technik auch aufgeschmissen wäre.
Natürlich verwenden wir Technik! Ich finde es ärgerlich wenn einem, sobald man die IT kritisiert, Technikfeindlichkeit oder Maschinenstürmerei unterstellt wird, oder Ignoranz, wie von den Rotzlöffeln die uns auf unseren Youtube-Seiten als DAUs beschimpfen. Die lagen wahrscheinlich noch in den Windeln, als wir schon mit unseren ATARIs
Musik machten! Nein, wir sitzen den lieben langen Tag vor unseren Rechnern, wir kommunizieren mit Smartphones, ich habe mein Tonstudio, mein Büro und mein Archiv auf Tour immer dabei, alles in meinem Macbook Pro, aber ich schleppe auch einen beachtlichen Kabelsalat durch die Kulturlandschaft. Wie lästig!
Und wie entsteht nun ein Song wie beispielsweise »Nieder mit IT«?
Bei der kreativen Arbeit hat das Medium, mit dem man arbeitet, einen gehörigen Einfluss auf den Entstehungsprozess. Ob ein Songtext im Frühstadium zunächst nur im Kopf zirkuliert, ob man ihn laut singt, ob man ihn mit dem Bleistift hinskribbelt, ob man ihn in den Rechner eintippt und die Elemente neu montiert, ob man den Papierausdruck beim Spazierengehen korrigiert, ob man ihn mit Dr. Eichhorn vertont oder ob man ihn aufnimmt und ihn sich einen Tag später anhört, jedes Mal verändert sich der kritische Blick auf den Song und gibt Anlass zu neuen Ideen. Mit der Zeit entwickelt man einen bewussten Umgang mit diesen Perspektivwechseln und setzt sie je nach Phase des Schreibprozesses ein. Vielleicht sagt man sich, wenn man mit dem Bleistift nicht mehr weiterkommt, mach ich doch mal eine Aufnahme. Wenn sie dann aber bei »Logic 11« wieder alle Knöppe vertauscht haben, wird man ausgebremst, weil man erst die Gebrauchsanweisung für das verfluchte Update lesen muss. Das Sich-Ablenken-Lassen durch technischen Kleinkrams ist der größte Feind des Dichters.
Linktipps:
Kampflied »Nieder mit IT«Chansonnier und Komponist Thomas Pigor
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