SPD stimmt gegen eigene Klientel
Sozialdemokratie und Gewerkschaften in Hessen streiten über die Schuldenbremse
Gut drei Monate vor der hessischen Volksabstimmung über die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Landesverfassung hat sich am Wochenende im Frankfurter Gewerkschaftshaus eine landesweite Plattform gegründet, die unter der Parole »Für ein handlungsfähiges Hessen« der Bevölkerung die Ablehnung der geplanten Verfassungsänderung empfiehlt. »Mit der Abstimmung über ein sogenanntes Verschuldungsverbot in der Hessischen Landesverfassung soll die Bevölkerung einen Blankoscheck für diese Politik des Aushungerns der öffentlichen Hand, des Sozialabbaus und Privatisierens ausstellen«, heißt es in dem Appell. Das Verbot einer Neuverschuldung des Landeshaushalts soll ab 2020 Verfassungsrang erhalten.
Treibende Kraft im Aktionsbündnis sind der hessische DGB und insbesondere seine beiden Mitgliedsgewerkschaften ver.di und GEW. Mit im Boot sitzen der Deutsche Beamtenbund (dbb), die südhessische Arbeiterwohlfahrt (AWO), Landesschülervertretung, Naturfreunde und Attac. Mit einer Aktionskonferenz am 22. Januar in Frankfurt am Main soll die heiße Phase der Auseinandersetzung offiziell eröffnet werden. Bis dann werden sich örtliche Aktionsbündnisse bilden und vermutlich weitere Organisationen dem Bündnis beitreten.
Der hessische dbb-Chef Walter Spieß bekräftigte die Kritik seines Verbandes an der Schuldenbremse und bezeichnete die am vorigen Mittwoch vom Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP, SPD und Grünen vorgenommene Weichenstellung für die Volksabstimmung als »reines politisches Schaulaufen«. Die Einigung der vier Parteien sei »nicht tragfähig«, prophezeite Spieß: »Während die Einen auf Einsparungen auch im sozialen Bereich drängen, wollen die Anderen genau das Gegenteil.« Von dem befürchteten massiven Stellenabbau in Folge der Schuldenbremse dürften auch wichtige Bastionen von dbb-Mitgliedsverbänden in der hessischen Landesverwaltung betroffen sind. Erster Vorbote ist die jüngste Ankündigung von Finanzminister Thomas Schäfer (CDU), 1200 Stellen in der Landesverwaltung zu streichen. Bei den Massenprotesten gegen Kürzungen im hessischen Landeshaushalt im Herbst 2003 waren die konkurrierenden Verbände DGB und dbb noch getrennt marschiert.
Weil viele führende DGB-Funktionäre ein SPD-Parteibuch haben, ist ihnen die Enttäuschung über die Zustimmung der SPD zur angedachten Verfassungsänderung deutlich anzumerken. Der hessische DGB-Landesvorsitzende Stefan Körzell ist nach wie vor höchst verärgert darüber, dass er als Gast auf einem SPD-Landesparteitag Ende November in Gießen keine Gelegenheit eingeräumt bekam, in einem Grußwort an die Delegierten die ablehnende Haltung des DGB zur Schuldenbremse zu unterstreichen. Beim Landesparteitag der LINKEN Ende August hingegen konnte Körzell als Gastredner zum Projekt Schuldenbremse sprechen. Sozialdemokratische Gewerkschafter kreiden SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel an, dass er im parlamentarischen Tauziehen um einzelne Formulierungen zum jüngsten Landtagsbeschluss wenig Standfestigkeit bewiesen habe und von dem Wunsch beseelt sei, um jeden Preis einmal auf der »Gewinnerseite« zu stehen.
Einen flammenden Appell gegen die Schuldenbremse hielt bei einer ver.di-Demonstration in der Landeshauptstadt auch die Wiesbadener AWO-Geschäftsführerin Hannelore Richter, ein gestandenes SPD-Mitglied. Ähnlich dürften sich in den kommenden Wochen auch viele Jusos und sozialdemokratische Gewerkschafter engagieren. Bei der entscheidenden Abstimmung im Landtag allerdings votierte die SPD-Fraktion geschlossen für das Vierparteienprojekt, obwohl mit Andrea Ypsilanti, Reinhard Kahl und Lisa Gnadl mindestens drei Fraktionsmitglieder als Gegner der Schuldenbremse gelten. Die Linksfraktion war am Mittwoch aus der entscheidenden Landtagssitzung ausgeschlossen worden, nachdem ihre Parlamentarier Protestplakate gegen die Schuldenbremse hochgehalten hatten.
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