Von Verweigerern keine Spur
Ortstermin: In einem Sprachkurs in Berlin-Moabit war von sogenannten Integrationsmuffeln niemand anzutreffen
Ortstermin im Berliner Bezirk Mitte, Stadtteil Moabit, Montag morgen, 8.30 Uhr. Es nieselt. Es ist kalt. Pfützen stehen auf den Straßen und Fußgänger werden von vorbeifahrenden Autos nassgespritzt. Die arabischen und türkischen Restaurants haben um diese Uhrzeit kaum Kundschaft. Auch im Spielkasino scheint noch nicht viel Geld umgesetzt zu werden. Im Durchgang eines schmucklosen und leicht heruntergekommenen Gebäudes hat sich eine Gruppe von Menschen versammelt. Man hält ein wenig Small Talk, raucht schnell eine Zigarette und tauscht sich über das Wochenende aus. Im ersten Stock des Hauses herrscht bereits reges Treiben. Menschen mit Rucksäcken und Kaffeebechern in der Hand rennen über den Flur. Die Volkshochschule (VHS) Berlin-Mitte unterhält in der Turmstraße einen Standort, an dem Integrationskurse für Zuwanderer angeboten werden. Menschen aus aller Herren Länder treffen sich in den Seminarräumen, um die deutsche Sprache zu pauken.
Erinnerungen an die eigene Grundschule
Die Zimmer sind spartanisch eingerichtet: Tische, Stühle, eine Blume auf dem Fensterbrett, eine Tafel und eine Garderobe. Mit viel mehr Mobiliar ist der Raum nicht ausgestattet. Zusammen mit der gelben Tapete und den schmucklosen Gardinen weckt das Zimmer unfreiwillig Erinnerungen an die eigene Grundschulzeit.
Die 14 Kursteilnehmer schauen angestrengt an die Tafel, wenn Leiterin Katharina Langhammer, hauptberuflich als Volkshochschullehrerin tätig, einzelne Wörter erklärt und Synonyme danebenschreibt. Während der Unterrichtszeit von etwa fünf Stunden täglich wird ausschließlich Deutsch gesprochen. Eine andere Sprache ist nicht gestattet, darauf achtet Langhammer akribisch. Durch die vielen Nationalitäten sei man quasi zum Deutschsprechen gezwungen, kommentiert die Honduranerin Claudia diese erzieherische Maßnahme. Die Mittelamerikanerin lebt seit eineinhalb Jahren in der Bundesrepublik und wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, den Integrationskurs zu besuchen.
Die Teilnehmer werden nach dem Aufenthaltsgesetz – wie Claudia – verpflichtet oder haben eine sogenannte Berechtigung, den Kurs zu besuchen. Manche von ihnen besuchen den Kurs freiwillig. Zum Beispiel kann Migranten ein Integrationskurs aufgezwungen werden, wenn sie über keine oder nur über sehr wenige Deutschkenntnisse verfügen. In diesem Fall ordnet die Ausländerbehörde die Teilnahme an. Außerdem können Hartz-IV-Betroffene verpflichtet werden – und zwar von der Stelle, die das Arbeitslosengeld II auszahlt, sprich dem Jobcenter. Zur Teilnahme berechtigt sind beispielsweise Bürger der Europäischen Union und sogenannte Spätaussiedler.
Die Lateinamerikaner sind in diesem Integrationskurs die Mehrheit, wie Langhammer im Gespräch mit ND deutlich macht. Das verwundert ein wenig. In Moabit sind viele Ausländer mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund sesshaft. Davon ist in diesem Kurs jedoch nichts zu merken: Ali ist der einzige türkische Staatsbürger; Araber gibt es keine. In ihrem zweiten Kurs sei das anders, gibt Langhammer bereitwillig Auskunft. Die übrigen Teilnehmer kommen aus Frankreich, Brasilien, Bulgarien, Japan, Nepal, Nigeria und von den Philippinen. Ein bunter Haufen also.
Ein Integrationskurs umfasst in Deutschland insgesamt 645 Unterrichtsstunden; etwa ein halbes Jahr ist von den Behörden dafür eingeplant. Der erste Teil besteht aus sechs Modulen à 100 Stunden; hier wird die deutsche Sprache gelernt. Der zweite Teil ist ein sogenannter Orientierungskurs und besteht aus den restlichen 45 Unterrichtseinheiten. Dort wird den Kursteilnehmern unter anderem eine Einführung in die Geschichte der Bundesrepublik gegeben. Sprach- und Integrationskurs werden jeweils mit einem Test abgeschlossen. Das Ziel des Integrationskurses: Migranten sollen sich im Alltag verständigen und an der deutschen Gesellschaft teilhaben können. So jedenfalls ist es auf der Homepage des Bundesamtes zu lesen. Der Kurs in Moabit dauert nur noch wenige Wochen, dann müssen die Teilnehmer die Prüfungen absolvieren.
Schreiben kostet noch etwas Mühe
Im Integrationskurs steht an diesem Vormittag eine Frage-und-Antwort-Übung an. Ein Teilnehmer bleibt übrig, so dass ich kurzerhand einspringe und mit Ali die Partnerarbeit zusammen mache. Der etwa 50-Jährige hat – wie andere Kursteilnehmer auch – noch etwas Probleme, die deutsche Sprache korrekt anzuwenden. Auch das Schreiben kostet ihn einige Mühe. Angestrengt guckt Ali auf sein Blatt, er schreibt langsam und ist bemüht, keine Fehler zu machen. Während der Übung erfahre ich, dass Ali Kurde ist. Er gehört den Aleviten an, einer Religionsgemeinschaft, die ursprünglich aus Anatolien kommt, und wurde vom Jobcenter verpflichtet, den Kurs zu besuchen. »Mit meiner Familie und meinen Freunden spreche ich kurdisch oder türkisch«, sagt Ali. »Mit einigen aber auch ein bisschen deutsch.« Ich notiere seine Antwort unter Frage 8. Später teilt sich der Kurs in zwei Gruppen und ich trage die Antworten vor. Dadurch erfahren die anderen Teilnehmer des Kurses einiges über Ali und sein Leben fern der eigenen Heimat.
Eine Unterstellung vom Bundesinnenminister
Von 10 bis 15 Prozent Integrationsverweigerer sprach Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und forderte Sanktionen für diejenigen, die einer verpflichtenden Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachkommen. Das war Anfang September dieses Jahres, die Thesen Sarrazins wurden noch kontrovers diskutiert. Integrationspolitiker der Opposition haben dem Minister anschließend heftig widersprochen. So nannte Mehmet Kilic, Sprecher für Migrations- und Integrationspolitik der Grünen, die von de Maizière genannten Zahlen »willkürlich aus der Luft gegriffen«. »Die von ihm hilflos angeführten Studien stützen seine Angaben nicht. Sie sagen nichts aus über den Integrationswillen von Einwanderern«, so der Grüne.
Dass es sich bei den Angaben de Maizières per se um Verweigerer handele, sei »erstmal eine Unterstellung«, sagt Michael Weiß, Leiter der Volkshochschule in Berlin-Mitte. Die Gründe für die Nicht-Teilnahme seien bisher nicht valide untersucht worden. Er schätzt, dass die Quote der Verweigerer »wohl eher bei zwei bis drei Prozent« liegt.
Weiß schmeckt die aktuelle Integrationsdebatte nicht, das wird im ND-Gespräch deutlich. Sie gehe an der Wirklichkeit vorbei und sorge für Kopfschütteln bei denjenigen, die täglich in der Praxis mit Migranten arbeiten. Für ihn ist das Erlernen einer neuen Sprache eine von den Migranten erbrachte Leistung, die nicht unterschätzt werden dürfe, so der VHS-Chef.
Auch Kursleiterin Katharina Langhammer zweifelt die Zahlen des Innenministers an. Sie habe in der Praxis bisher keine Integrationsverweigerer kennengelernt, sagt sie. In ihrem aktuellen Kurs, so mein Eindruck, sind die Teilnehmer durch die Bank bemüht, dem Stoff zu folgen und sich mit kurzen Redebeiträgen oder Wortmeldungen in den Unterricht einzubringen. Aufmerksam wird der Übung »Deutsch aus dem Zaubersack« von einer CD gelauscht. Ebenso konzentriert üben die Zuwanderer, einen Brief zu schreiben oder lesen kurze Texte aus dem Arbeitsbuch. Gelangweilt scheint niemand zu sein, trotz der zum Teil anspruchsvollen Übungsaufgaben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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