Pillen und Kondome aus dem Stadtsäckel?
Neuer Hartz-IV-Regelsatz ab 2011
Frau Anna Mosch gehörte zu den ersten Frauen im Alter ab 20 Jahren, die das am 1. April 2009 gestartete Projekt zur Kostenübernahme verordneter Verhütungsmittel nutzte. Allein im ersten Halbjahr 2010 sind 150 Anträge bewilligt worden, sagt Simone Hartig, die Leiterin von pro familia Flensburg. 30 000 Euro investiert Flensburg in diesem Jahr in das bis 2011 befristete Projekt. Auch die Landkreise Stormarn und Geesthacht sind dem Flensburger Beispiel gefolgt. Ähnliche Initiativen gibt es in Offenbach, Bonn, im Rhein-Sieg-Kreis, Paderborn, Bielefeld und Münster.
Eine Umfrage in den 180 pro-familia-Beratungsstellen über die freiwillige Erstattung der Verhütungskosten durch die Kommunen ergab: Nur ein Drittel der Städte und Gemeinden gewähren Zuschüsse oder übernehmen die Kosten komplett.
Im umstrittenen neuen Hartz-IV-Regelsatz für 2011 sind von 364 Euro monatlich 15,55 Euro für »Gesundheitspflege« vorgesehen. Zusätzliches Geld gibt es nicht. Eine individuelle Familienplanung sei somit unmöglich. Der Verband rechnet vor: Eine Monatspackung der Pille kostet bis zu 18 Euro, die Hormonspirale 350 Euro, eine Sterilisation bei Frauen 500 und bei Männern 450 Euro. Selbst für eine Zehner-Packung Kondome würden sechs bis elf Euro fällig.
»Das Recht auf selbstbestimmte Familienplanung muss allen Menschen offenstehen«, fordert auch Annegret Laakmann, Bundesvorstand des Vereins »Frauenwürde«. Um mittellosen Frauen die Verhütung zu ermöglichen, unterhält der Verein einen Härtefonds, aus dem auf Antrag Zuschüsse für Spirale, Pille oder Sterilisation finanziert werden. Laakmann fordert, »die alte Regelung aus der Sozialhilfe wieder einzuführen«. Danach gab es bis Ende 2003 einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln. Andernfalls unterstütze die Bundesregierung, »dass Schwangerschaftsabbrüche zum Verhütungsmittel gemacht werden«.
Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband plädiert »für eine Übernahme der Kosten als atypische Leistung«. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider: »Aus unserer Arbeit wissen wir, dass es den betroffenen Frauen und Paaren aufgrund des zu eng bemessenen Regelsatzes nicht möglich ist, die regelmäßige Versorgung mit Verhütungsmitteln zu finanzieren.«
Seitens der Bundesregierung wird die Gesundheitsvorsorge-Pauschale für hoch genug gehalten. Zudem sei es Betroffenen zuzumuten, »einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen«.
Diese Argumentation halten die Verbände für ebenso weltfremd wie die Annahme, Hartz-IV-Empfängerinnen könnten genug Geld ansparen, um etwa das Einsetzen einer Spirale bezahlen zu können. Dafür müssten sie fast zwei Jahre lang die für die Gesundheitspflege gewährten 15,50 Euro zurücklegen – vor-ausgesetzt, das Geld geht nicht zwischendurch für andere Medikamente drauf. epd
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