Obamas Weihnachtsgabe

Endspurt beim neuen START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Offensivwaffen / Zähes Ringen im Washingtoner Senat um die Ratifizierung des atomaren Abrüstungsabkommens mit Russland

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 5 Min.
Lange sah es so aus, als sollte USA-Präsident Barack Obama auch sein wichtigstes abrüstungspolitisches Vorhaben nicht unbeschadet durch den heimischen Kongress bekommen. Doch am Dienstag (Ortszeit) machte der Senat den Weg frei für die endgültige Abstimmung über den START-Vertrag – mit der für eine Ratifizierung notwendigen Zweidrittelmehrheit.

100 Sitze hat der Senat auf dem Washingtoner Kapitol, 56 gehören derzeit noch den Demokraten, mit denen meist auch zwei »Unabhängige« votieren. 67 Stimmen aber braucht Barack Obama, um die überfällige Ratifizierung des russisch-amerikanischen START-Vertrages zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen über die Bühne zu bringen. Das heißt, ohne republikanische »Überläufer« ist das nicht zu machen. Und weil nach den jüngsten Kongresswahlen die Mehrheit der Präsidentenpartei geschrumpft ist, wäre es in der neuen Zusammensetzung der bei internationalen Verträgen federführenden zweiten Parlamentskammer im nächsten Jahr noch schwieriger, auf die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu kommen. Deshalb hatte das Weiße Haus den Druck auf die Senatoren noch einmal deutlich verstärkt.

Präsident Obama warnte in seiner wöchentlichen Rundfunkansprache eindringlich davor, den Abrüstungsvertrag scheitern zu lassen. Das Abkommen zur Begrenzung der Atomwaffenarsenale müsse noch vor Jahresende ratifiziert werden, da die Fortschritte in den Beziehungen zu Moskau ansonsten einen Rückschlag erleiden würden. Und ein gutes Verhältnis zu Russland sei »unverzichtbar«, nicht zuletzt, um »starke Sanktionen« im Atomstreit mit Iran durchzusetzen; aber auch, um Nuklearmaterial vor Terroristen zu schützen und die Versorgung der eigenen Truppen in Afghanistan sicherzustellen.

Auch Moskau muss den Vertrag noch ratifizieren, hat aber immer zu erkennen gegeben, dass die Staatsduma ihr Placet geben würde, wenn der Washingtoner Senat dies tut. Der im April geschlossene dritte START-Vertrag sieht eine Verringerung der atomaren Arsenale auf je 1550 stationierte strategische Nuklearsprengköpfe vor. Die Zahl der Trägersysteme – Raketen, U-Boote und Flugzeuge – soll auf 800 pro Land sinken. Die von Obama und seinem Amtskollegen Dmitri Medwedjew am 8. April unterzeichnete Vereinbarung löst ein bilaterales Abkommen aus dem Jahr 1991 (START I) ab, das Ende 2009 ausgelaufen war. Seitdem fanden auch keine gegenseitigen Inspektionen mehr statt.

Obama drohte den Senatoren sogar eine Urlaubssperre an, sollten sie dieses Abkommen nicht vor der Weihnachtspause ratifizieren, und verschob selbst seinen Abflug in die Weihnachtsferien auf Hawaii. Unermüdlich versuchte er, skeptische Konservative persönlich umzustimmen. Auch bei Außenministerin Hillary Clinton glühte das Telefon. Und Generalstabschef Mike Mullen rief die Senatoren in einem Brief dazu auf, die Vereinbarung zu billigen. Sie verbessere »unsere Fähigkeit, die Bürger der USA zu schützen und zu verteidigen. Je schneller sie ratifiziert ist, desto besser«. Ohne ein neues Abkommen sei man schon bald gezwungen, »in einer unklugen Verschiebung knapper Ressourcen« die russische Rüstung zu überwachen – sprich teure Spionage erheblich auszuweiten.

Vertragsgegner wie der republikanische Fraktionschef Mitch McConnell argumentieren dagegen, START lege den USA bei ihrem Raketenabwehrprogramm Fesseln an und verhindere die Wiederaufnahme des einst von Präsident Ronald Reagan initiierten »Star Wars«-Programms. Dabei hat die Obama-Regierung auf Drängen des konservativen Senators Jon Kyl schon im November zugesagt, in den kommenden Jahren zusätzlich 14 Milliarden Dollar für die Modernisierung der nuklearen Waffenforschung bereitzustellen. Trotzdem bemühten sich Republikaner wiederholt, das Abkommen durch Änderungsanträge praktisch zum Scheitern zu bringen und forderten u.a., die Zahl der Abschussrampen zu erhöhen oder taktische Atomwaffen in den Vertrag aufzunehmen. Moskau hat allerdings immer erklärt, dass Nachverhandlungen nicht infrage kämen. In dieser Woche lehnte Außenminister Sergej Lawrow noch einmal jegliche Änderung ab. Und Ministerpräsident Wladimir Putin drohte unlängst in einem CNN-Interview mit massiver nuklearer Aufrüstung, sollte das Abkommen scheitern.

So waren es am Ende nicht nur prominente Parteiveteranen wie die Ex-Außenminister Henry Kissinger und Colin Powell, die sich für eine Ratifizierung stark machten. Auch Bob Corker und andere republikanische Senatoren meinten, dass dieser Abrüstungsvertrag wohl doch keine Hürde für die Modernisierung des US-amerikanischen Atomarsenals und den Aufbau eines Raketenschildes sei. Zumal er eben ermögliche, die russischen Atombestände zu inspizieren. Gegen den Widerstand ihrer Fraktionsspitze erklärten neun konservative Senatoren öffentlich, für den Vertrag votieren zu wollen. Als am Dienstag über die Beendigung der Debatte abgestimmt wurde, hieß es 67 Mal Ja.


START-Geschichte

Die Abkürzung START steht für Strategic Arms Reduction Treaty, auf Deutsch »Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen«. Das Abkommen zwischen den USA und Russland, das die Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedjew am 8. April in Prag unterzeichneten, ist der umfassendste amerikanisch-russische Abrüstungsvertrag seit zwei Jahrzehnten. Er verpflichtet beide Staaten, die Zahl der nuklearen Sprengköpfe innerhalb der nächsten sieben Jahre um 30 Prozent von je 2200 auf 1550 zu reduzieren. Die Zahl der Trägersysteme (Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Langstreckenraketen und Langstreckenbomber) soll auf jeweils 800 halbiert werden. Die Parlamente beider Länder müssen dem auf zehn Jahre ausgelegten Vertrag zustimmen.

Nach seiner Ratifizierung ersetzt er den ersten START-Vertrag, der 1991 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen wurde. Dieser trat nach dreijährigem Ratifizierungsprozess im Dezember 1994 in Kraft und lief im Dezember 2009 aus. Die Vertragsparteien vereinbarten, die Bestände der weitreichenden Systeme (über 5000 Kilometer) um durchschnittlich 25 bis 30 Prozent zu verringern – auf etwa 8500 US-amerikanische und rund 7000 sowjetische Sprengköpfe.

Der START-II-Vertrag wurde im Januar 1993 in Moskau von den damaligen Präsidenten der USA und Russlands, George Bush sen. und Boris Jelzin, unterzeichnet. Er sah eine weitere Verringerung der Bestände und den völligen Verzicht auf bodengestützte Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen vor.

Im Streit um die US-amerikanischen Raketenabwehrpläne wurde er allerdings durch das SORT-Abkommen ersetzt. Die Präsidenten George Bush jun. und Wladimir Putin unterzeichneten im Jahr 2002 den Strategic Offensive Reductions Treaty, der eine Begrenzung der strategischen Atomwaffen auf 1700 bis 2200 Sprengköpfe vorsieht.

Die Großmächte versuchten vor allem nach dem Schock der Kuba-Raketenkrise von 1962, mit Hilfe von Verträgen die Gefahr eines Nuklearkrieges zu verringern. Laut dem Atomwaffensperrvertrag von 1968 dürfen die fünf offiziellen Atommächte USA, Russland (in Nachfolge der UdSSR), China, Großbritannien und Frankreich keine Kernwaffen an Dritte weitergeben, die anderen beigetretenen Staaten dürfen keine produzieren oder erwerben.

Moskau und Washington vereinbarten darüber hinaus schon in den 1970er Jahren bilaterale Reduzierungen bei der strategischen Rüstung (SALT I und II) und regelten die Aufstellung von Anti Ballistic Missiles zur Abwehr feindlicher Raketen (ABM-Vertrag). 1987 unterzeichneten Michael Gorbatschow und Ronald Reagan den INF-Vertrag über die kontrollierte Vernichtung aller landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern (darunter Pershing II und SS-20).
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