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Vom Zauber der Agenda 2011
Was haben wir vom neuen Jahr zu erwarten? Wird es den Fernsehfreunden das Ende der »Lindenstraße« bringen? Oder anders gefragt: Was erwartet das neue Jahr von uns? Wir könnten uns bei Hans-Olaf Henkel erkundigen. Wir könnten sogar die Sterne fragen, die Sterne lügen nicht. Das erledigen für sie die Astrologen. Die Redaktion der »Bild am Sonntag« befragte gegen ein fürstliches Honorar gleich »vier der besten Astrologen Deutschlands« auf einmal. Das Team der vier Top-Astrologen brachte die Zukunft auf den Nenner: »Wer kreativ ist, kann viel verdienen.«
Ein Kreativbanker könnte die Faustregel bestätigen, nämlich Dirk Jens Nonnenmacher, Vorstand der HSH Nordbank und Meister der falschen Bilanzen. Seit der Finanzkrise erwirtschaftete er Milliardenverluste und verklärt die »Fehler« in seinem Zahlenwerk mit Sprüchen der dritten Art: »Eine falsche Bilanz ist keine gefälschte Bilanz!« Durchaus möglich, dass er mit dieser Pointe dem Rausschmiss auch 2011 wieder entgeht.
Sehnse mal, es ist doch so: Geld allein macht nicht unglücklich – ganz egal, ob es sich um mehr Netto vom Brutto oder mehr Brutto vom Netto handelt. Im eigenen Auftrag steigerten die Volksvertreter des Berliner Abgeordnetenhauses ihre Diäten ab Januar 2011 um monatlich 76 Euro und die Kostenpauschale um 14 Euro. Diese Beträge sind Peanuts im Vergleich zu Dr. Röslers Patientenausplünderungsreform, ein angenehm warmer Regen aber verglichen mit der 5-Euro-Zulage, auf die sich die Hartz-IV-Hartzis freuen. Vielleicht wird dieses Almosen eines Tages tatsächlich ausgezahlt werden; schade nur, dass es nicht einmal die Inflationsverluste ausgleicht.
Ministerin Ursula von der Leiharbeit ist dennoch zufrieden: »Lieber fünf Euro mehr als überhaupt keine Erhöhung!« Und wenn Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, mit seiner Empfehlung durchkommt, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent empor zu katapultieren, verdankt der Hartzi nach der Arschkarte aus der Epoche der Agenda 2010 plötzlich, aber nicht unerwartet auch der Agenda 2011 eine Arschkarte, die wir die Goldene nennen wollen.
Fünf Euro dürften wir den Energieriesen RWE, EON, EnBW und Vattenfall gar nicht erst anbieten. Sie schrauben ihre Strompreise unaufhaltsam nach oben. Auch Benzin, Heizöl und Gas, Milch und Kaffee, Brot und Brötchen und Grundnahrungsmittel wie Schnaps, Bier und Zigaretten werden teurer. Bloß die Ausreden, die werden immer billiger.
Trotz des schwarz-gelben XXXL-Aufschwungs sind die Kommunen allesamt von der Pleite bedroht. In Köln zahlt der Hotelgast neuerdings eine Bettensteuer, Hamburg verlangt bei Polizeieinsätzen von Unfallverursachern eine Blaulichtsteuer, in Starnberg steigen die Hundesteuern, in Magdeburg die Kita-Beiträge, in Nürtingen die Friedhofsgebühren. Für den liberalen Steuer-Geschenkdienst FDP ist dies genau der rechte Zeitpunkt für eine weitere Schnapsidee. Die Drei-Prozent-Partei erwägt, die Gewerbesteuer abzuschaffen, um den Kommunen endgültig den Gnadenschuss zu verpassen. Was nehmen diese Staatsterroristen eigentlich für Drogen?
Deutschland boomt. Deutschland ist Euro-Star und Lohnminus-Weltmeister zugleich. In den Industriestaaten steigen Jahr für Jahr die Löhne, in Deutschland werden sie zugunsten der Bestverdiener nachhaltig geschrumpft. Darum sind wir stolz darauf, dass wir, wie die Kanzlerin rühmt, mit einer weißen Weihnacht aus der Krise heraus gekommen sind. Die Deutsche Bahn empfiehlt neuerdings, Bahnreisen zu unterlassen. Meine S-Bahn fährt nur noch sehr selten und hat deshalb die Fahrpreise erhöht. Das aber kann doch einen Verkehrsminister nicht erschüttern. Ramsauer kämpft stattdessen gegen Anglizismen. Wörter wie Ticket, Laptop und Flipchart sind in seinem Ministerium verboten, Fahrschein, Klapprechner und Tafelschreibblock erwünscht. Höchste Zeit, auch die deutsche Bevölkerung umzubenennen – und zwar in Zahlemann & Söhne.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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