Auf die weiche Tour
In Karlsruhe hat ein Geschäftsmann einen »orthopädischen Gebetsteppich« im Sortiment
Karlsruhe. Der Muezzin ruft zum Gebet. Der alte Mann kniet sich langsam auf den Gebetsteppich, die Bewegung fällt ihm schwer. Mühsam richtet er sich wieder auf. »So kann man nicht beten«, dachte sich wohl der Teppichhausbesitzer Turgay Yenerer. Sein orthopädischer Gebetsteppich wird in einem türkischen Youtube-Video angepriesen: Vor »Knieschmerzen, Rückenschmerzen, Fußschmerzen« auf herkömmlichen Gebetsteppichen warnt der kleine Film. »Alles kein Thema mehr«, sagt – sichtlich stolz – der Karlsruher Erfinder des orthopädischen Teppichs.
Der sieht auf den ersten Blick normal aus, misst aber mit 1,25 Meter 15 Zentimeter mehr als ein normaler Gebetsteppich – und fühlt sich an wie eine wattierte Yogamatte. Er ist gefüllt mit einer Matte aus einem speziellen Schaumstoffgemisch und 1,5 Zentimeter dick. Ein ähnlicher Schaumstoff wird laut Yenerer in Krankenhäusern verwendet. Islamische Gelehrte mussten alles absegnen: Etwa 50 Prototypen unterschiedlicher Länge und Dicke waren dafür nötig. Die Geistlichen genehmigten den Teppich schließlich, weltliche Behörden erkannten ihn laut Yenerer als Patent an.
Mehr Ruhe in der Moschee
»Der Teppich durfte nicht zu dick sein«, erläutert der Erfinder. »Ein bisschen Anstrengung und Entbehrung beim Beten muss schon sein.« Länger ist der Teppich deshalb, weil sonst der Unterschied zwischen der Höhe der Knie auf dem Teppich und der Stirn auf dem Boden zu groß wäre, wenn sich der Gläubige gen Mekka verneigt. Die Idee kam dem seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebenden Geschäftsmann, nachdem ältere Freunde und Verwandte immer wieder über Gelenkschmerzen klagten, die das Beten schwerer machten. Fünfmal am Tag muss ein Muslim beten. Wichtig dabei ist Konzentration: »Nichts soll das Gebet stören.« Wer aber Schmerzen hat, »ist abgelenkt und kann sich nicht dem Gebet hingeben«, sagt Yenerer.
Auch in der Moschee soll der orthopädische Teppich nützlich sein: Nach dem Gebet mit der Stirn auf dem Boden können die Gläubigen den Oberkörper wieder aufrichten und im Sitzen dem Prediger zuhören – ohne vor Schmerzen ständig die Position verändern zu müssen. »Dann ist es in der Moschee gleich viel leiser«, findet Yenerer.
2000 Stück seit Oktober
Seit Oktober sind bei dem 48-Jährigen schon gut 2000 Teppiche über den Ladentisch gegangen oder übers Internet verkauft worden. 60 Prozent der Teppiche werden in Deutschland geordert, 40 Prozent in der Türkei, wo Yenerer die Teppiche auch produzieren lässt. Ein Produzent in Schleswig-Holstein stellt ebenfalls orthopädische Gebetsteppiche her. Mitte Oktober hatten türkische Zeitungen auch den Geschäftsmann Adnan Pirisan zitiert, der die Erfindung eines orthopädischen Gebetsteppichs für sich reklamiert. Jener habe darauf ein Patent angemeldet und einen Exportvertrag mit einem Kunden in Deutschland, hieß es.
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