Finnlands Tor nach Europa weit offen
Unter dem Motto »Kultur tut gut« startet Turku ins Europäische Kulturhauptstadtjahr 2011
»Turku«, sagt einer der es wissen muss, »war immer Finnlands Tor nach Europa«. Mikka Akkanen kümmert sich für die Stadt um die auswärtigen Beziehungen. Ganz Diplomat erzählt er ruhig und bedächtig aus der Geschichte Turkus. An der mehr als 20 000 Inseln gegen die offene See geschützten Mündung des Aura-Flusses bauten die Slawen in grauer Vorzeit einen Marktplatz. Später kam der Hafen, dann kamen die Händler aus ganz Europa. Sie kauften Holz und Felle aus den finnischen Wäldern. Dafür brachten sie Salz, Stoffe, exotische Lebensmittel und Wissen. Im 13. Jahrhundert entstanden hier die ersten Schulen des heutigen PISA-Siegerlands. Wenig später baute Turku Finnlands erste Universität. Mika Akkanen hat sich in Fahrt geredet, schwärmt von seiner Heimatstadt als dem »Hafen der Ideen«, der viele Neuerungen ins damals rückständige Finnland brachte.
Kreatives Pflaster
Turku ist neben Helsinki Finnlands kreativstes Pflaster. 15 Prozent der Turkuer studieren an der Uni oder einer der Fachhochschulen. An den Sommerabenden genießen die jungen Leute vor den frisch renovierten Bürgerhäusern am Aura-Fluss in den Straßencafés das Leben. Zwischen Marktplatz und Flussufer reihen sich moderne Bars, Kneipen, Discos und Clubs aneinander.
Hier trifft man Leute wie Dani Aavinnen. In einem bunten Laden der Stadt verkauft er schräge Tassen, schrille Klamotten, sachlich-kühle Holzmöbel, Tischdeko und andere Werke. Acht junge Designerfirmen vermarkten ihre Produkte unter der gemeinsamen Dachmarke Turku Design Now. Unter ihnen Helen Opas mit ihrer mitwachsenden Kinderkleidung. In ihrer kleinen Werkstatt mit Laden im ehemaligen Arbeiter- und heutigen Künstlerviertel Port Arthur fertigt die 33-Jährige ihre Kollektionen aus Recyclingstoffen. »Am Anfang sind die Jacken für die Kinder reichlich bemessen«, erklärt die junge Designerin mit den blonden Dreadlocks. »Aber ich schneidere sie so, dass sie an ihnen auch dann noch gut aussehen, wenn die Kleinen fast rausgewachsen sind.«
Zeitlos wollen die Mitglieder von Turku Design Now ihre Werke gestalten. »Wir achten auf Langlebigkeit«, verspricht Dani Aivinnen. Die meisten Designer, die ihre Produkte unter der Dachmarke anbieten, fertigen sie selbst oder lassen ihre Stücke anderswo in Finnland produzieren.
Brian Keaney hat sein Label tonfisk (Tunfisch) Design vor gut zehn Jahren in Turku gegründet. Zum Studieren war er Anfang der 90er Jahre aus Irland nach Finnland gekommen. Er blieb, weil er hier »die nötige Designkultur« mit Messen, Museen und Foren fand. Zusammen mit zwei Angestellten produziert er am Stadtrand von Turku besonderes Geschirr in Handarbeit. »Hinter jedem Produkt muss eine ausgefallene Idee stecken«, erklärt der 36-jährige Keramiker sein Prinzip. So erfand er eine Teekanne mit eingebautem Zuckerschälchen, das in einer Aufhängung waagerecht bleibt, wenn man den Tee einschenkt.
In einer ehemaligen Seilerei aus dem 19. Jahrhundert bedrucken zwei junge Designerinnen Stoffe im Siebdruckverfahren mit selbstentworfenen Mustern. In Ihrem Laden können ihnen die Kunden bei der Arbeit zuschauen. »Föry«-Design heißen die leuchtend grün-, rot- oder rosafarbenen T-Shirts und Stofftaschen mit der Fähre darauf. Die tuckert gleich vor der Haustür regelmäßig zum anderen Ufer des Aura-Flusses und wieder zurück. An Bord: Fußgänger und Radfahrer auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder wieder nach Hause.
Sauna für 124 Leute
Der Fluss Aura ist so etwas wie die Lebensader der Stadt, einst der wichtigste Transportweg, heute Vergnügungsmeile mit zahlreichen Restaurant- und Ausflugsbooten. Einige Skipper bieten Touren auf die weit mehr als 20 000 Inseln vor der Stadt an, zum Beispiel nach Herrankukkara. Ein findiger Unternehmer hat auf der kleinen Insel ein komplettes Fischerdorf nachgebaut: 50 Häuser und Hütten aus zum Teil 200 Jahre alten Brettern und Stämmen, die Gründer Penti Oskari entlang der finnischen Küste gesammelt hat. Mitten drin, vor dem Badesteg an der Ostsee, zwischen Abkühlbecken und Whirlpools unter freiem Himmel zeigt der Chef seinen ganzen Stolz: die größte Rauchsauna der Welt. Auf den nackten Holzbrettern an den dunklen Wänden des fensterlosen Raums finden bis zu 124 Gäste Platz. In der Mitte heizt ein Feuer zehn Tonnen Steine zwölf Stunden lang auf. Dann öffnet Oskari die Türen, lässt den Rauch abziehen und die Gäste rein. Drinnen ist es dann rund 60 Grad warm. Es riecht nach erloschenem Feuer und Resten von Qualm. Es ist stockfinster und wohltuend still.
Nach dem Saunagang sitzen die meisten in der Abenddämmerung in einem der Whirlpools. Andere gehen über den Badesteg direkt in die Ostsee. Zum anschließenden Abendessen servieren die Herren der Saunainsel selbstgebackenes Brot, selbstgeräucherten Fisch und andere heimische Leckereien.
Die Stadt ist weit weg. Für die Bewohner der Inseln ist Turku mit seinen rund 180 000 Einwohnern eine ferne Megacity. Die Fotokünstlerin Renja Leino zum Beispiel braucht für die Reise auf ihre Heimatinsel Korpo mehr als zwei Stunden. Auf dem Eiland leben nur ein paar Familien. Straßenbeleuchtung gibt es keine. Die Nachbarn sind weit weg. Ihre Inspiration bezieht Renja aus der Natur. Am liebsten sitzt sie unter dem »fantastisch klaren Sternenhimmel« ihrer Insel. Hier kann sie »darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist« und in aller Stille den Lärm der Welt zu neuen Werken verarbeiten.
- Infos zur Kutlturhauptstadt: www.turku2011.fi
- Mit einem Budget von rund 50 Millionen Euro organisiert die Stiftung Kulturhauptstadt Turku 2011 rund 1000 Veranstaltungen in 150 Projekten auch an ungewöhnlichen Orten wie in Läden, Seniorenheimen, Kindergärten, Bussen oder auf der Straße, auf dem Meer, unter Wasser, in Inselkirchen, auf Dorfplätzen, bei den Inselbewohnern zuhause oder in Leuchttürmen.
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