Gentechnik-Trend gestoppt
Selbstbestimmungsrecht bei der Zulassung soll in diesem Jahr entschieden werden
2010 war ein Erfolgsjahr für die Gentechnikgegner: In Europa setzten immer weniger Landwirte auf gentechnisch verändertes Saatgut. In Deutschland gibt es mittlerweile kaum noch Äcker, gegen die Gegner protestieren oder die sie gar zerstören könnten. Nach jahrelangem Widerstand auf europäischen Feldern sieht es nicht danach aus, dass die großen Saatgutfirmen Monsanto und Bayer in der EU schnell Fuß fassen. In fast allen Ländern Europas ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auch 2010 wieder zurückgegangen. Nach Angaben des Industrieverbands EuropaBio lag die Anbaufläche bei gentechnisch verändertem Mais 2009 bei 96 750 Hektar (2008 noch 107 717 Hektar). Im vergangenen Jahr wurde GV-Mais noch auf 83 969 Hektar angebaut. Sogar der Gentechnik-Spitzenreiter Spanien verkleinerte seine Anbaufläche um rund 10 000 Hektar.
Auch in Osteuropa scheint die GVO-Euphorie gestoppt, einzig in der Slowakei legte die Zahl der Felder etwas zu. In Deutschland hingegen ist seit dem nationalen Anbauverbot der Maissorte 810 Ruhe eingekehrt – zuerst ließ das Landwirtschaftsministerium den Anbau der Maispflanze bundesweit aussetzen, seit 2009 besteht ein unbefristetes Verbot, das Saatgut zu verkaufen. Die Forschung wird allerdings weiterhin gefördert. Einzig der Anbau der 2010 neu zugelassenen GVO-Kartoffel Amflora auf 245 Hektar hat die Gentechnikgegner wieder auf den Plan gebracht: In Mecklenburg-Vorpommern wurde im vergangenen Jahr das einzig kommerzielle 14 Hektar große Versuchsfeld teilweise zerstört. Auch in diesem Jahr werden wohl kaum mehr Bauern die Risiken eines Anbaus in Kauf nehmen – der Bauer in Mecklenburg hat seine Zusammenarbeit mit BASF mittlerweile aufgekündigt.
Neben den widerstandsfreudigen Gegnern sind es vor allem die nationalen Anbauverbote, die den Gentech-Firmen zu schaffen machen – MON 810 ist auch in Frankreich, Griechenland, Österreich, Ungarn und Luxemburg verboten. Das Recht, Anbauverbote selbst zu erlassen, steht allerdings auf tönernen Füßen – schließlich handelt es sich um eine europäische Zulassung. Seit Herbst vergangenen Jahres diskutieren die EU-Mitgliedstaaten deshalb, inwiefern das »Selbstbestimmungsrecht« bei GVO eine Übergangslösung oder ein Zukunftsmodell sein soll.
Während in den USA und südamerikanischen Ländern der Anbau von GVO mittlerweile Normalität ist, hat die seit 1998 zugelassene Maissorte 810 Europa gespalten. Zwar hatte die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) die Maissorte als sicher eingestuft, dennoch wurden in vielen Ländern immer mehr Zweifel an der Unbedenklichkeit der GVO-Pflanze laut. 2007 veröffentlichten französische Wissenschaftler der Universitäten Caen und Rouen Studien über MON 810, der an Ratten verfüttert worden war. An den Tieren wurden erhebliche Veränderungen der Blutwerte in Leber und Nieren festgestellt. Seitdem jagt eine Studie die nächste – mal pro, mal kontra MON 810. Dementsprechend unterschiedlich reagieren die Mitgliedstaaten.
Österreich forderte als erstes Land ein »GVO-Selbstbestimmungsrecht« und will sich überhaupt nichts von der EU vorschreiben lassen. Auch die EU-Kommission schlug vergangenen Herbst vor, den Staaten im Falle von »ethischen oder sozioökonomischen« Bedenken einen Alleingang zuzugestehen. Vor allem solle zukünftig verhindert werden, dass die nationalen Regierungen aus »sicherheitstechnischen Gründen« den Anbau von GVO-Pflanzen unterbinden. Das verstoße gegen das einheitliche Zulassungsverfahren. Bisher weiß allerdings niemand, was genau »sozioökonomische Gründe« sein könnten – zudem ist nicht sicher, ob damit wiederum gegen die Welthandelsregeln verstoßen wird. Besonders vehement stellten sich Italien und Spanien gegen nationale Alleingänge. Die Grabenkämpfe zwischen den Pro- und Kontra-GVO-Staaten werden deshalb auch in diesem Jahr weitergehen. Entscheiden werden darüber letztlich die Mehrheiten im EU-Ministerrat. Mit dem Selbstbestimmungsrecht würde Brüssel seine Macht zugunsten des nationalen Rechtes zurückstellen – allein diese Überlegung zeigt die Ratlosigkeit Brüssels in Sachen Gentechnik.
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