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EU stimmt über Gentechnik ab
Am Freitag entscheidet der EU-Ministerrat über die Deregulierung genmanipulierter Pflanzen
Schon seit über 1,5 Jahren ringt die EU um eine gemeinsame Position zur Neuen Grünen Gentechnik. Die polnische Ratspräsidentschaft setzt sich für ihre Deregulierung ein und hat nun diesen Freitag eine Abstimmung darüber für die Sitzung des Ausschusses ständiger Vertreter der Mitgliedstaaten auf die Tagesordnung gesetzt. Offensichtlich rechnet sie mit einer Mehrheit für ihren neuesten Vorschlag.
Mindestens 15 Mitglieder – zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung – müssen dafür stimmen, damit er in den sogenannten Trilog, also die finale Verhandlungsrunde von Vertreter*innen des Parlaments, Rats und der Kommission, gehen kann. Bei der letzten Abstimmung fehlten zehn Stimmen, darunter die von Deutschland.
Die Neue Gentechnik bezeichnet Verfahren, die auf sogenannten Genscheren basieren: Erbinformation lassen sich damit an einer bestimmten Stelle schneiden, um dort Gene einzufügen und zu (de-)aktivieren. Bislang ist sie im Europäischen Gentechnik-Gesetz geregelt. Das bedeutet Risikoprüfung im Einzelfall, Zulassungsverfahren, Kennzeichnungspflicht, Abstandsregelungen, Rückverfolgbarkeit und klare Haftungsregeln.
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»Das schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten«, versichert Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Saatguthersteller*innen, kleine und mittlere Züchter*innen, Bioverbände aber auch konventionelle landwirtschaftliche Betriebe, Verbraucherschutz und Teile der Zivilgesellschaft betrachten eine mögliche Deregulierung mit großer Sorge.
99,9 Prozent der europäischen konventionellen Pflanzenproduktion – Getreide, Obst, Gemüse und Futtermittel – sind im Moment gentechnikfrei. Darin sieht Volling einen großen Wettbewerbsvorteil für Europa. Laut Sönke Guttenberg vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik, lag der Umsatz gentechnikfrei gelabelter Produkte 2023 bei rund 17,5 Milliarden Euro und der Umsatz im ebenfalls gentechnikfreien Biosektor etwa genauso hoch.
»Die gentechnikfreien Märkte und Wettbewerbsvorteile drohen durch die Deregulierung zerstört zu werden.«
Annemarie Volling Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
»Die gentechnikfreien Märkte und Wettbewerbsvorteile drohen durch die Deregulierung zerstört zu werden«, warnt Volling, wenn das Gentechnikgesetz für das Gros der gelisteten neuen Gentechnikpflanzen nicht mehr gilt. Ohne Abstandsregelung oder Kennzeichnungspflicht könnten Erzeuger*innen keine gentechnikfreien Produkte mehr garantieren, Verbraucher*innen wären in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt.
Eine Studie des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 94 Prozent der Befragten eine Kennzeichnungspflicht für mit neuer Gentechnik hergestellte Produkte wünscht. Eine massive Verschlechterung gäbe es für die Erzeuger*innen auch in der Haftungsfrage: Lässt sich die Ware nicht mehr vermarkten, trügen sie den Schaden.
Martha Mertens vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland warnt vor der Gefahr der Auskreuzung. Anders als bei den Genpflanzen erster Generation seien bei der Neuen Gentechnik Manipulationen aller möglichen Nutzpflanzen denkbar. »Gerade bei Wildpflanzen oder Bäumen gibt es viel zu wenig Erkenntnisse über ihre Fortpflanzung oder ihre Verwandtschaft mit anderen Pflanzen«, sagt Mertens. Wenig bekannt sei, dass auch mit den neuen Gentechnikmethoden artfremde DNA in Nutzpflanzen eingeschleust werde. Diese könne zu unerwarteten Effekten in der manipulierten Pflanze führen – mit ungewissen Folgen für Bestäuber oder Mikroorganismen im Boden.
Einer der Hauptstreitpunkte der Neuregelung für Neue Gentechnik ist ihre Patentierung. Schon heute blockieren Biotechkonzerne mit ihren Patenten konventionelle und ökologische Züchtung, moniert Christoph Then von No Patents on Seeds. »Kommt es zu einer unkontrollierten Einführung von Neuer Gentechnik, verschärft sich die Problematik noch.« Gentechnikkonzerne könnten dann etwa mittels KI gefundene Mutationen im Erbgut von Pflanzen mithilfe von Genscheren nachmachen und dies patentieren lassen.
Martin Häusling, EU-Abgeordneter der Grünen und Schattenberichterstatter im Trilog für Deutschland, sieht Biotechkonzerne als klare Profiteure einer Deregulierung. Linzenzgebühren für den Anbau ihrer patentierten Genpflanzen würden ihnen große Summen in die Kasse spülen, während Saatgutbetriebe, die sich diese nicht leisten könnten, auf der Strecke blieben.
Im Ministerrat gibt es derzeit noch Unwägbarkeiten zur Frage der Deregulierung Neuer Gentechnik. Selbst wenn es dort am Freitag eine qualifizierte Mehrheit für Polens Vorschlag gäbe, so sei diese hauchdünn: »Es reicht, dass ein Land ausschert, dann hat sie die nicht mehr«, sagt Franziska Achterberg von Save Our Seeds.
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