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Ausgleichsfonds muss Pflegekasse retten
Düstere Aussichten für eine stabile Finanzierung der Pflegeversicherung
In der vergangenen Woche gab es den ersten Hinweis: Eine Pflegekasse hat Finanzhilfen beantragt. Zunächst wollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Namen nicht preisgeben. In dieser Woche wurde der Versicherer dann aber benannt: Es handelt sich um die Pflegekasse der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) mit Sitz in Kassel. Sie betreut rund eine halbe Million Versicherte. Zum Verständnis: Pflegekassen sind jeweils gesetzlichen Krankenversicherungen zugeordnet.
Mit der Finanzhilfe sollen schwankende Ausgaben am Monatsanfang gedeckt werden, so die Kasse gegenüber Medien. Im Februar war der Versicherer schon nicht mehr in der Lage, laufende Kosten vollständig aus eigenen Mitteln zu decken. Die inzwischen gewährte Unterstützung ist bis Dezember 2025 befristet.
Der Vorgang ist durchaus ein Alarmsignal, denn erstmals seit der Einführung der Pflegeversicherung muss eine Kasse staatliche Hilfe beantragen, um nicht zahlungsunfähig zu werden. Die Finanzhilfen kommen vom Ausgleichsfonds beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS). Jeweils am Monatsende müssen die Pflegekassen ihre Überschüsse in den Fonds einzahlen, was sie unter Druck setzt. Wenn die Pflegeversicherungen in der Folge versuchen, Leistungen oder Abrechnungen zu verzögern, kann das sowohl Heimbewohner als auch die Betreiber in Schwierigkeiten bringen.
Für Versicherte bedeutet die tatsächliche Insolvenz einer Kasse, dass sie sich um eine neue Kasse bemühen müssten oder alternativ automatisch an eine andere vermittelt würden. In der neuen Versicherung könnte es weniger Zusatzleistungen geben.
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Schon jetzt sind Stimmen zu hören, die vor weiteren Fällen warnen. Das ist nicht unwahrscheinlich, nicht nur, weil die Kosten allein aufgrund notwendig steigender Löhne in der Pflege weiter steigen werden. Auch durch eine Senkung der Ausgabendeckungsquote im genannten Ausgleichsfonds sinkt der Anteil, den die Pflegekassen nun noch für Betriebsmittel zur Verfügung haben. Ihre Finanzsituation verschlechtert sich also auch durch diese Maßnahme. Wird die Quote noch weiter abgesenkt, betrifft das so auch weitere Kassen. Stellen mehrere Pflegekassen einen Antrag auf Finanzhilfe bei dem BAS, könnte es zu Domino-Effekten kommen.
Eine weitere allgemeine Beitragserhöhung – nach der von Anfang des Jahres um 0,2 Prozentpunkte – wäre eine naheliegende, wenn auch nur kurzfristige Auflösung des Dilemmas. Denn die Finanzlage der Pflegeversicherung ist schon seit Jahren defizitär, unter anderem wegen des zu geringen Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen. Auch die Ausgaben der Kassen für Pandemie-Mehrkosten von fast sechs Milliarden Euro wurden bis jetzt nicht vom Bund beglichen.
Angesichts dessen sind die Kranken- und Pflegekassen von den bisherigen Sondierungsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD nicht begeistert. Denn dort gab es zum Thema Pflege und deren Finanzierung bislang nur Allgemeinplätze: Eine »große Pflegereform« soll auf den Weg gebracht werden. Über eine solche Formulierung war der bisherige Gesundheitsminister Lauterbach auch nicht hinausgekommen. Aber für eine sichere Versorgung, für die Unterstützung pflegender Angehöriger, um nur einmal die Grundlagen zu nennen, braucht es eine stabil finanzierte Pflegeversicherung, nicht nur immer wieder den Zugriff auf die Gelder der Beitragszahler.
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