Streit ums Hartz-IV-Gesetz: Sind Widersprüche unnötig?

Nach Lage der Dinge wird es noch einige Zeit dauern, ehe in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein einigermaßen tragfähiger Kompromiss bei den neuen Hartz-IV-Regelsätzen und beim Bildungspakt für bedürftige unter Dach und Fach ist. Angepeilt ist nach jüngsten Verlautbarungen der 1. Februar.

Doch schon jetzt gehen die Sozialgerichte bundesweit davon aus, dass es 2011 zu einer Klageflut gegen die Hartz-IV-Bescheide kommen wird. Grund sei die »Vielzahl auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe« in jedem neuen Gesetz.

Die Erfahrungen zeigen, dass seit Jahren bei den Hartz-IV-Verfahren die Hälfte der Kläger zumindest einen Teilerfolg erreicht, was deutlich über anderen Rechtsgebiete liegt. Bei Einsprüchen zur Rentenversicherung zum Beispiel liegt die Erfolgsquote nur bei 30 Prozent.

Sozialrichter verweisen darauf, dass mancher Streit vermeidbar wäre, wenn das Hartz-IV-Gesetz klarer wäre, etwa beim Anspruch auf Mietübernahme. Andererseits würden die Gerichte auch immer wieder Verwaltungsfehler feststellen, weil Bescheide unbestimmt sind oder falsche Berechnungen enthalten. Ungenau seien auch die Rechtsfolgenbelehrungen, und die Bearbeitungsfristen würden oft nicht eingehalten.

In der umstrittenen Gesetzesvorlage, die eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um lediglich fünf Euro auf 364 Euro vorsieht, sehen Sozialrichter und Sozialverbände erheblichen Bedarf an Nachbesserungen – sonst befürchten sie Massenklagen. Schon jetzt beträgt die durchschnittliche Klagedauer bis zu einer Urteilsverkündung neun Monate.

Nun versucht die Bundesagentur für Arbeit zu suggerieren, dass vorsorgliche Widersprüche bei den Jobcentern gegen die neuen Hartz-IV-Bescheide für Januar 2011 unnötig seien, weil ein solches Vorgehen keine Rechtsgrundlage hätte. Die Verzögerung der neuen Regelsätze durch die Ablehnung des kompletten Gesetzespaketes im Dezember 2010 im Bundesrat bedeute keine Nachteile für die Leistungsempfänger, so die Bundesagentur. Auch wenn das neue Gesetz nun erst nach dem 1. Januar 2011 erlassen wird, müsse es rückwirkend zum Jahresbeginn in Kraft treten. Die Leistungsberechtigten erhielten dann neue Bescheide.

Sozialrichter, wie die Präsidentin des Berliner Sozialgerichts, Sabine Schudoma, vertreten die Auffassung, dass ein Eingreifen der Gerichte ohnehin nicht nötig sei, weil die Erhöhung von fünf Euro keine »Notlage« begründe.

Sind die Widersprüche der Hartz-IV-Bezieher also wirklich unnötig? Dieser Auffassung widerspricht das Erwerbslosen Forum Deutschland. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien die Regelleistungen ab 1. Januar 2011 verfassungswidrig, erklärte die bundesweite Arbeitsloseninitiative in Bonn. Damit bestehe keine Rechtsgrundlage für die Bescheide mehr. Da die Jobcenter aber Leistungsbescheide auf Grundlage des bisherigen Rechts versandt habe, ohne diese für vorläufig zu erklären, gebe es »erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken«, erklärte deren Sprecher Martin Behrsing.

Übrigens wird seitens der Sozialgerichte erneut die Wiedereinführung einer Gerichtsgebühr für Jobcenter ins Spiel gebracht, worin ein wirkungsvoller Anreiz zur außergerichtlichen Streitbeilegung gesehen wird. Diese pauschale Gebühr von 150 Euro war 2006 wieder abgeschafft worden. An der Welle der befürchteten Massenklagen wird das so gut wie nichts ändern.

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