Ein bisschen auf Vorrat speichern

Vorschläge der Justizministerin: Zuviel oder zu wenig Befugnisse zum Datensammeln?

  • Lesedauer: 4 Min.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat gestern ihre Eckpunkte für die »Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet« verteidigt. Die einen halten die vorgeschlagenen Maßnahmen für unzureichend für eine wirksame Bekämpfung von Kriminalität, die anderen sprechen von »Vorratsdatenspeicherung light«.

Berlin (Agenturen/ND). Sie wehrt sich: Aus einer anlassbezogenen Speicherung von Daten dürfe nicht in Verhandlungen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung werden, sagte Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin. Nach ihren Vorstellungen soll es erst bei einem begründeten Verdacht auf eine gravierende Straftat und nach einem Richterbeschluss möglich sein, Telekommunikationsdaten für Polizei und Staatsanwaltschaft zugänglich zu machen. Allerdings kann die Polizei bei einem Anfangsverdacht über eine Sicherungsanordnung die kurzfristige Speicherung von Daten ermöglichen (Quick-Freeze-Verfahren). Die Speicherung von Internetadressen soll über sieben Tage erlaubt sein.

Das Bundesinnenministerium hatte den Entwurf als unzureichend kritisiert. Auch der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, bezeichnete die Vorschläge als »nicht zureichend«. Sie gingen offenkundig von einem Liberalismusbegriff des »letzten oder vorletzten Jahrhunderts« aus. Die Freiheit der Bürger sei aber nicht mehr bedroht durch einen Obrigkeitsstaat. Heute komme es darauf an, dass Kriminelle und Verbrecher nicht »die Oberhand gewinnen«.

Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) bemängelte, die Vorschläge blieben weit hinter dem zurück, was die gültige Richtlinie der EU verlange und was das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zugelassen habe. Das Gericht hatte am 2. März 2010 die bestehenden Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung, welche die Speicherung sämtlicher Telefon- und Internetdaten über sechs Monate erlaubten, für verfassungswidrig erklärt.

Die Ministerin wies Vorwürfe der Opposition und von Verbänden zurück, dies sei eine »Vorratsdatenspeicherung light«. Aus dem Internet würden keine Verkehrsdaten wie etwa E-Mail-Wechsel eine Woche lang gespeichert, sondern lediglich IP-Adressen, die eine Identifizierung des Nutzers ermöglichten.

Bei der EU-Kommission in Brüssel wurden ihre Vorschläge unterschiedlich aufgenommen. »Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung«, sagte EU-Justizkommissarin Viviane Reding der »Welt«. Ein Sprecher von Innenkommissarin Cecilia Malmström äußerte sich dagegen skeptisch zum »Quick-Freeze-Verfahren«. Dieses Verfahren erfülle in der Regel nicht alle Bedingungen, die die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorgebe, sagte er.

Auch die Polizeigewerkschaft reagierte mit Kritik. Als »Augenwischerei« und untauglich für die Bekämpfung schwerster Kriminalität bezeichnete der Vorsitzende Bernhard Witthaut die Vorschläge.

Der Sprecher für Netzpolitik der Grünen, Konstantin von Notz, warf der Justizministerin vor, dem Druck des Koalitionspartners nicht standgehalten zu haben. Ihr Vorschlag sei eine »Abkehr von der generellen rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung«, sagte er in Berlin. »Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kann es nennen, wie sie will: Sie hat vor, Internetdaten anlasslos und auf Vorrat zu speichern, und das wird vom Rest der Welt mit dem Begriff Vorratsdatenspeicherung bezeichnet«, erklärt Jan Korte, Mitglied im Fraktionsvorstand der LINKEN.

Zufrieden äußerte sich immerhin der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. »Das ist ein guter Vorschlag«, sagte er der »taz«. Und der rechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christian Ahrendt, zeigte sich zuversichtlich, »dass wir in diesem Jahr mit der Union zu einer erfolgreichen Lösung kommen«.


Aus dem Eckpunktepapier

– Die bei den Telekommunikationsunternehmen bereits vorhandenen Verkehrsdaten werden anlassbezogen gesichert (»eingefroren«) und stehen den Strafverfolgungsbehörden eine begrenzte Zeit zur Verfügung.

– Im Internetbereich erfolgt eine eng befristete Speicherung von Verkehrsdaten zu dem Zweck, Bestandsdatenauskünfte, d.h. eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen zu Personen, insbesondere zur Bekämpfung von Kinderpornografie zu ermöglichen.

– Sichern vorhandener Verkehrsdaten

  • Materielle Voraussetzung soll sein, dass die Daten »für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten erforderlich« sind.
  • Formelle Voraussetzung ist eine Anordnung der zuständigen Polizeibehörde oder der Staatsanwaltschaft.
  • Der Zugriff auf die Daten ist nur unter Richtervorbehalt möglich.
  • Die Sicherungsfrist muss so kurz wie möglich und so lang wie nötig bemessen sein.
  • Die gesicherten Daten sind unverzüglich zu löschen, sobald die Sicherungsfrist abgelaufen ist.
  • Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet
  • Zulässig ist allein die Verwendung zur Auskunftserteilung über Bestandsdaten des Anschlussinhabers, die bereits heute möglich ist und vom BVerfG als zulässig zu Grunde gelegt wurde.
  • Die Regelung wird auf Internetzugangsdienste beschränkt.
  • Die Speicherungsdauer muss auf das notwendige Maß beschränkt bleiben und soll sieben Tage betragen.
  • Der Umfang der Speicherungspflicht sollte auf die in der EU-Richtlinie vorgegebenen Daten für Internetzugangsdienste beschränkt sein.
  • Die Vorgaben des BVerfG insbesondere zur Gewährleistung der Datensicherheit müssen beachtet werden. Sicherzustellen sind demnach

– die getrennte Speicherung der anlasslos zu speichernden Daten,

– eine anspruchsvolle Verschlüsselung der Daten,

– ein gesichertes Zugriffsregime unter Nutzung etwa des Vier-Augen-Prinzips,

– eine revisionssichere Protokollierung. BMJ/ND

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