Automobilität wird erschwinglicher Luxus
Immer mehr Inder können sich einen Pkw leisten. Der Sektor boomt – mit Einschränkungen – weiter
Es gab Zeiten, da waren private Pkw auf indischen Straßen eine Seltenheit, denn ihre Anschaffung bedeutete eine enorme Geldausgabe. Autos wurden denn auch so lange gefahren, bis sie von selbst auseinanderfielen. Doch das gehört der Vergangenheit an: Kraftfahrzeuge sind zwar für viele noch immer ein unerschwingliches Luxusgut, doch mittlerweile kann sich eine breite Mittelschicht dies leisten. Und so sind nahezu alle bekannten Automarken mit eigenen Produktionsstätten in Indien vertreten oder bereiten eine Fertigung zumindest vor. Bis 2015 dürfte sich laut Prognosen die jährliche Kapazität auf 6,52 Millionen Wagen nahezu verdoppeln.
In den ersten acht Monaten des aktuellen Finanzjahres (bis März) gab es 1,6 Millionen Neuwagenverkäufe. Im Gesamtjahr zuvor waren es knapp zwei Millionen gewesen, was gegenüber dem Beginn des Booms 2003/04 bereits eine Verdoppelung bedeutete. Das Wachstum wird sich zwar etwas abflachen, aber auf hohem Niveau bleiben. Die Börsenkurse der 14 gelisteten Firmen der Branche stiegen im vergangenen Jahr um 34,7 Prozent, während der indische Leitindex Sensex an der Börse in Mumbai nur knapp 15 Prozent zulegte. Der Gewinn vor Steuern dürfte bei den Unternehmen um ein Viertel über dem Vorjahreswert liegen.
In der ersten Hälfte des aktuellen Finanzjahres wurden 33 Modelle neu vorgestellt, manche Firmen kamen mit dem Ausliefern nicht mehr nach. Der Marktführer Maruti Suzuki, Mahindra & Mahindra sowie die indischen Töchter von Hyundai und Honda trieben ihre Fabriken phasenweise bis über die normale Kapazitätsgrenze hinaus. »2010 war in dieser Hinsicht ein schwieriges Jahr«, erklärte der Chef des Branchenverbands SIAM, Pawan Goenka. Weder Firmen noch Händler hätten mit einem solchen Schub bei der Nachfrage gerechnet. Maruti fertigte statt geplanten 84 000 Wagen pro Monat seit März 100 000 in seinen Fabriken Gurgaon und Manesar. Hyundai India, sonst stark exportorientiert, leitete manche für die Ausfuhr bestimmte Lieferungen auf den Binnenmarkt um. Der zweitgrößte Autobauer will seine Kapazitäten jetzt von 600 000 auf 670 000 Wagen pro Jahr aufstocken.
Vom Statussymbol zur Familienkutsche – diesem Trend haben sich auch ausländische Autobauer gestellt. Diese erzielten lange Zeit eher mit Fahrzeugen der Oberklasse Umsatz. Wegen der weiter steil steigenden Zahl der Superreichen sind sich die Hersteller der Luxusmarken ihrer Gewinne sicher. BMW hatte mit dem Absatz von 5345 Wagen zwischen Januar und November vor Mercedes-Benz (5109) knapp die Nase vorn. Drei Viertel aller in Indien verkauften Autos gehören heute allerdings zu en Kompaktwagen. Nun mischen auch VW mit dem Polo, Nissan mit dem Micra oder Ford mit seinem Figo, einem abgespeckten Fiesta, mit. Zudem reifen Pläne, Indien stärker zur Produktionsstätte für Exporte in Nachbarländer zu machen. Gleichzeitig lassen die steigenden Preise bei Rohstoffen wie Aluminium, Stahl und Gummi die Profitmargen etwas schrumpfen.
Viele Familien können sich inzwischen sogar einen Zweitwagen leisten. Dieser muss aber nicht unbedingt ein neuer sein. Folglich entsteht erstmals in nennenswerter Form ein Gebrauchtwagenmarkt, in dem auch die großen Hersteller mitmischen. Über deren Handelspartner wechselten binnen Jahresfrist 1,9 Millionen Autos den Besitzer. Allein Tata Motors hat inzwischen ein Netz von 215 Gebrauchtwagenpartnern, die 2500 Stück pro Monat verkaufen. Darunter leiden aber die Verkäufe des Billigst-Kleinwagens Nano, den der Konzern mit großem Tamtam im Juli 2009 auf den Markt brachte. Das sogenannte 1000-Dollar-Auto hat die hohen Erwartungen bisher nicht erfüllt. Erst 71 000 Exemplare wurden verkauft, zuletzt im November nur noch 500 Stück. Der Nano wurde seit Verkaufsstart teurer und machte zuletzt mit Pannen Schlagzeilen: Mehrfach gerieten Autos in Brand, verletzt wurde aber niemand. Jetzt soll eine Vier-Jahres-Garantie den Billigwagen attraktiver machen.
Trotz des Autobooms kommen in Indien nach wie vor nur zwölf Privatautos auf 1000 Einwohner (USA: 840), doch die Verkehrszunahme in den Innenstädten ist spürbar. Der Staat reagiert mit dem großflächigen Ausbau mehrspuriger Highways und anderer Straßen nicht nur in den Metropolen. Selbst Verbindungen zwischen Provinzstädten sind teils deutlich besser als früher.
Umweltfreundliche Hybridwagen wie Toyota Prius und Honda Civic gibt es mittlerweile auch. Die Nachfrage ist aber wegen der hohen Preise und der mangelnden Lade-Infrastruktur für den Elektroteil gering. Andere Hersteller scheuen sich, in die Technologie zu investieren.
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