Stolperstein Anti-Raketenschirm

Die geplanten Abwehrsysteme bleiben ein Streitpunkt zwischen Russland und NATO

  • Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 3 Min.
Bereits in den Verhandlungen zum neuen START-Vertrag und mehr noch in den Ratifizierungsdebatten erwies sich die Raketenabwehr als Haupthindernis. Dabei behandelt der Vertrag Defensivwaffen gar nicht.

Russland sieht seine Abschreckungsfähigkeit durch eine Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in Osteuropa grundsätzlich gefährdet, weil diese die eigenen strategischen Offensivwaffen bedrohen oder deren Wirkung zumindest relativieren würden. Weil es aber keine vollständig sichere Abwehr gibt, wäre das einfachste und billigste Gegenrezept eine größere Anzahl von Offensivwaffen. Dann nämlich dringen immer noch genügend Geschosse durch den gegnerischen Abwehrschirm, um einen inakzeptablen Schaden anzurichten. Auf diese Wechselbeziehung weist Moskau immer wieder hin, und deshalb setzt die russische Bereitschaft zu weiteren Reduzierungen eine Einigung bei der Raketenabwehr voraus.

Die Obama-Regierung hat zwar die ursprünglichen konfrontativen Pläne der Bush-Administration für die Errichtung eines Anti-Raketenschirms in Osteuropa gestoppt und Moskau ein kooperatives Vorgehen angeboten. Dort aber hält sich trotz verbaler Zustimmung weiterhin Misstrauen. So wird befürchtet, dass das Pentagon den Verzicht auf den Raketenschild in Osteuropa durch Kampfsatelliten oder Laserwaffen kompensieren wird. Der Stationierungsverzicht schließt zudem ein, dass andere Optionen geprüft werden. Das alternative System soll in mehreren Phasen verwirklicht werden. Bereits in diesem Jahr will das Pentagon mit SM-3-Abfangraketen und Aegis-Lenkwaffensystemen ausgerüstete Kriegsschiffe wahrscheinlich im Persischen Golf und im Arabischen Meer, möglicherweise aber auch im Mittelmeer und in der Nordsee kreuzen lassen. Anschließend sollen in der zweiten Phase, etwa 2015, derartige Raketen auch auf dem Territorium befreundeter Staaten stationiert werden, um Kurz- und Mittelstreckenwaffen abzuwehren. Bis 2018 wird eine neue, größere und wirksamere Rakete entwickelt und getestet. Sie soll bis 2020 stationiert werden, um dann auch gegnerische Langstreckenraketen wirksam bekämpfen zu können.

Die von der Weiterverbreitung von Atomwaffen und Raketentechnik ausgehenden Gefahren zu ignorieren, wäre sicher naiv, zumal gegenwärtig rund 30 Staaten Programme zum Bau von Flugkörpern unterschiedlicher Reichweite betreiben. Auf dem Weg in eine atomwaffenfreie Welt kann eine Raketenabwehr also durchaus zeitweiligen Schutz bieten. Doch sollten solche Abwehrschirme kooperativ und nicht konfrontativ errichtet werden. Eine erste Gesprächsrunde begann dann auch vergangenen Dezember in Brüssel. Ziel ist, die beim Russland-NATO-Gipfel in Lissabon erreichten Vereinbarungen zum Aufbau eines gemeinsamen Raketenabwehrsystems zu verwirklichen.

Eine Einigung erscheint jedoch als sehr schwierig. Moskau sieht im Unterschied zu Brüssel und Washington keine ernsthafte Bedrohung durch iranische Raketen. Außerdem gibt es Unstimmigkeiten bei den Prinzipien und der Struktur einer künftigen europäischen Raketenabwehr. Laut Russland müsse sie nach einem Sektorenprinzip geschaffen werden. Die NATO sollte ihr Abwehrsystem gemäß den europäischen Grenzen und Russland nach den eigenen Grenzen errichten. Der russische Sektor könnte Osteuropa und das Baltikum sowie den europäischen Teil Russlands abdecken. Das Wichtigste sei, dass jede Seite eigenständig für ihren eigenen Sicherheitsbereich verantwortlich wäre. Gleichzeitig müsse es aber eine gemeinsame Kommandozentrale geben, fordert der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin.

Die NATO sieht dieses Konzept jedoch skeptisch. Sie besteht auf einem gestaffelten System, dem sich Russland anschließen könne. Aus Moskauer Sicht entsteht dabei allerdings die Frage, gegen wen ein solches System eigentlich gerichtet sein würde.

Russland zeigt sich so durchaus zum gemeinsamen Aufbau der europäischen Raketenabwehr bereit, könnte notfalls aber auch eigene Wege gehen. Sollte es zu einer Zusammenarbeit kommen, könnte das jedenfalls auch die Tür für weitere atomare Abrüstungsvereinbarungen öffnen.

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