Rationierung ohne Geheimnis

Ethikrat verlangt Transparenz bei Kosten- und Nutzenbewertungen im Gesundheitssystem

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Titel »Nutzen und Kosten im Gesundheitswesen« ist eine neue Stellungsnahme des Deutschen Ethikrates überschrieben. Darin wird eine Debatte über die Verteilung begrenzter Mittel im Gesundheitssystem gefordert.

Aus der Sicht nicht weniger Mediziner und Patienten gibt es bereits eine Rationierung in unserem Gesundheitssystem. Sie drückt sich aus in Wartelisten bei bestimmten Fachärzten und in Budgetgrenzen, die schon vor Quartalsende erreicht sind. Das jetzige System bringt sie mit sich, aber da sie in keinem Gesetzestext gefordert wird, reden sich Politiker damit heraus, dass sie ethisch nicht vertretbar sei, deshalb nicht existiere und auch nicht angestrebt werde. Die öffentliche Diskussion über Rationierung oder auch nur Priorisierung, so der Deutsche Ethikrat, sei bereits mehrfach aufgeflammt, werde aber immer wieder erstickt.

Warum das so ist, versucht das Gremium in einer neuen Stellungnahme zu klären. Denn der Rat hält die öffentliche Debatte zu der Frage für unausweichlich und spricht sich klar dagegen aus, sie weiter nur in Expertengremien zuzulassen. Rationierung im Gesundheitssystem stehe ins Haus, weil die Leistungen teurer würden, die Wissenschaft voranschreite und die Zahl der bedürftigen Älteren wachse, so die Einschätzung zur Ausgangslage. Die Tatsache der Existenz einer gespaltenen Versicherungslandschaft, die gesetzlich Versicherte von etlichen Ressourcen abschneidet, wurde vom Ethikrat nicht als Fokus gewählt, da sie schon in der öffentlichen politischen Debatte sei.

Bei der Bewertung von Kosten und Nutzen insbesondere innovativer Arzneimittel sei das noch nicht der Fall. Aus Sicht des Ethikrates stiehlt sich hier der Gesetzgeber zu sehr aus seiner Verantwortung. Die Fakten müssten öffentlich dargelegt werden. Dabei dürfe aber nicht bei ökonomischen Gesichtspunkten stehengeblieben werden, diese seien durchaus nicht ethisch neutral. Es seien medizinische, ethische und juristische Experten zu hören. Aber nicht nur das: Mit der geforderten Bürgerbeteiligung könnte es tatsächlich zu einer öffentlichen Debatte darüber kommen, welche Qualität und Quantität Gesundheitsversorgung hierzulande haben sollte.

Zu möglichen Verfahren dafür arbeiten bereits Wissenschaftler der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in Lübeck gab es schon eine Bürgerkonferenz zum Thema. Von vorbildlichen Modellen im angelsächsischen Raum ist die Rede, darunter zur regionalen Versorgung von Alzheimer-Patienten in Großbritannien.

Die Frage nach dem Nutzen etwa von Medikamenten wird von Ärzten, Patienten und Pharmaunternehmen unterschiedlich beantwortet. Der Ethikrat hält sich an patientenrelevante Eckpunkte: Lebenslänge, Lebensqualität und Morbidität. Er schließt sich der Forderung an, eine zweite Stufe der Nutzenbewertung gesetzlich zu verankern, wie die Ärztin und stellvertretende Vorsitzende des Rates, Christiane Woopen, erklärt. Es sollte nicht nur um den Zusatznutzen eines neuen Medikaments gegenüber anderen und eine Preisfestlegung gehen, das reiche für die Patienten nicht aus. Unter Alltagsbedingungen müsse von den Herstellern unabhängige Forschung betrieben werden. Dadurch könnten nutzlose Medikamente aussortiert und eine Rationierung vermieden werden.

Der Medizinrechtler Jochen Taupitz ist ebenfalls Mitglied im Ethikrat. Er warnt davor, in Nutzenbewertungen Patientengruppen gegeneinander auszuspielen. Verglichen werden sollten nur die Medikamente einer Indikation, also etwa nur Krebsmittel untereinander. Strikt abgelehnt wird vom Ethikrat auch die Verwendung eines errechneten oder vermuteten sozio-ökonomischen »Wertes« von Individuen oder Gruppen.

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