»Diese Generation ist geprägt von Globalisierung«

Sonja Hegasy zur Oppositionsbewegung in Ägypten

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Dr. Sonja Hegasy hat Islam- und Politikwissenschaften studiert. Derzeit ist sie Vizedirektorin für Externe Beziehungen im Zentrum Moderner Orient in Berlin. Mit ihr sprach ND-Mitarbeiter Roland Etzel.
Dr. Sonja Hegasy hat Islam- und Politikwissenschaften studiert. Derzeit ist sie Vizedirektorin für Externe Beziehungen im Zentrum Moderner Orient in Berlin. Mit ihr sprach ND-Mitarbeiter Roland Etzel.

ND: Angesichts des zunehmenden Rücktrittsdrucks gegen Ägyptens Präsident Husni Mubarak wird zunehmend gefragt, wer ihm – aus den Reihen der Opposition – nachfolgen könnte. Größere Bekanntheit besitzt aus diesem Personenkreis hierzulande einzig der ehemalige Präsident der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohammed al-Baradei. Wer sind denn für Sie die wichtigsten Köpfe der Opposition?
Hegasy: Zum einen sollte man sich den Namen Essam Eryan merken. Über ihn wird jetzt berichtet, dass er aus dem Gefängnis geflohen ist. Er gibt schon wieder Fernsehinterviews. Eryan ist sicherlich einer der politischen Häftlinge in Ägypten, und er ist einer der Vordenker innerhalb der Muslim-Büder aus der – sagen wir mal – mittleren Generation.

Zum anderen wird auch Ayman Nur immer wieder genannt. Er ist die Führungsfigur der Oppositionsbewegung Kifaya und Gründer der Partei Al-Ghad (Das Morgen). Kifaya heißt »Genug« und war in den letzten Jahren die einzige Bewegung, über die aus Ägypten berichtet wurde und die sehr viel westliche Aufmerksamkeit erfahren hat; ich würde auch sagen überproportional viel Aufmerksamkeit der westlichen Welt.

Unter US-Präsident George W. Bush hat sich Außenministerin Condoleezza Rice sehr für Ayman Nur eingesetzt. Gerade die US-amerikanische Außenpolitik hat in dieser Zeit immer wieder Forderungen nach Demokratisierung an das Mubarak-Regime verknüpft mit Forderungen nach der Freilassung von Ayman Nur.

Wäre er ein Präsidentschaftskandidat?
Bis 2005 wurde der Präsident in Ägypten per Referendum entweder bestätigt oder abgelehnt, das heißt man konnte nur mit Ja oder Nein stimmen. Zur Präsidentschaftswahl 2005 war das geändert worden. Weitere Kandidaten waren zugelassen, und Ayman Nur als Vertreter von Kifaya ist damals gegen Mubarak angetreten. Nach offiziellen Angaben erreichte er 7,3 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 23 Prozent. Anschließend wurde er zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er die Gründung seiner Partei angeblich gefälscht hatte.

Das Problem von Gruppierungen wie Al-Ghad und Kifaya ist, dass sie keinen breiten Rückhalt in den Massen haben und als elitäre Bewegungen gelten. Ereignisse wie die Einmischung von Rice wirken sich negativ aus auf die Reputation eines Oppositionspolitikers. Deswegen halten sich die Amerikaner jetzt vielleicht auch so stark zurück.

Wie lässt sich Kifaya einordnen? Hat es ein überhaupt politisches Programm?
Kifaya spricht Teile der liberalen intellektuellen Elite Ägyptens mit starker Westbindung an. Das Programm war schon immer »Regime change«, freie Wahlen und Demokratisierung zu fordern. Wenn wir in den letzten Jahren von Demonstrationen gehört haben, dann waren das meistens Demonstrationen, die von Kifaya organisiert waren. Aber man muss sagen, es sind da vielleicht 200, 300 Leute hingegangen.

Kommen wir zurück zu den Muslim-Brüdern. Die sind doch seit mehr als 50 Jahren verboten oder in ihrer Tätigkeit zumindest stark eingeschränkt.
Unter Gamal Abdel Nasser in den 50er und 60er Jahren waren sie unterdrückt, auch weil sie versucht haben, Nasser sozialistische Regime zu bekämpfen. Und unter dessen Nachfolger Anwar al-Sadat waren sie deshalb so stark unterdrückt, weil sie die Annäherung an Israel nicht mitgetragen haben.

Kann man für die Ermordung Sadats 1981 die Muslim-Brüder verantwortlich machen?
Nein. Das war eine radikalisierte Gruppierung.

Die Muslim-Brüder als Organisation haben sich unter Mubarak stark verändert. Parteigründungen auf religiöser Basis sind in Ägypten nicht zugelassen. Also auch eine christliche Partei würde nicht zugelassen werden.
Trotzdem wurden die Muslim-Brüder geduldet und sind auch im Parlament vertreten. Das hat in den 90er Jahren angefangen, als ihnen die liberale Wafd-Partei Listenplätze zur Verfügung gestellt hat. Im vergangenen Parlament waren sie mit 88 Sitzen, das sind ungefähr 20 Prozent, als Unabhängige vertreten, obwohl jeder weiß, dass dies natürlich Muslim-Brüder sind.

Was kann man über ihre politische Programmatik sagen?
Es wird zum einen debattiert, wie ein künftiger Staat aussehen soll. Die Hardliner sagen, dass dessen Gesetze auf ihre Konformität mit den Grundsätzen des Islam überprüft werden müssen. Das wäre eine Anlehnung an iranische Verhältnisse. Es gibt aber einflussreiche Muslim-Brüder, die sich dagegen positioniert haben. Dieser Konflikt ist noch nicht entschieden

Nach dem, was Sie bisher über die Bruderschaften gesagt haben, ist eigentlich nicht verständlich, warum im Westen ein derartiges Heulen und Zähneklappern herrscht, wenn die Möglichkeit in Erwägung gezogen wird, dass die Muslim-Brüder an der Macht beteiligt würden.
Da wird wohl wieder alles über einen Kamm geschert. Und wenn man sagt, die »Islamisten« kommen an die Macht, dann impliziert das die Vorstellung, sie stellten dann 80, 90 Prozent im Parlament sowie den Präsidenten. Das wird nicht so sein. Die Muslim-Brüder haben schon jetzt bekannt gegeben, dass sie keinen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufstellen werden.

Das kann sich natürlich noch ändern, aber so haben sie sich schon früher innerhalb der Gewerkschaften und Berufsvereinigungen verhalten. Sie sind dort zwar sehr aktiv, aber nicht zu den Wahlen der Vorsitzenden angetreten.
Ägypten ist immer noch eine Präsidialrepublik, in der die Machtfülle der Entscheidungen in der Hand des Präsidenten liegt. Fragen von Krieg und Frieden, die Einhaltung von Verträgen – und hier meine ich natürlich Camp David und andere Abkommen – das liegt alles in der Hand der Institution des Präsidenten. Und die werden die Muslim-Brüder nicht besetzen. Wenn sie 20 Prozent in halbfreien Wahlen erreichen, dann erreichen sie in freien Wahlen vielleicht 30 oder 35 Prozent.

Werden sie die stärkste Partei, wenn sie als Partei antreten würden?
Das ist denkbar, aber stärkste Partei würde für mich bedeuten, dass sie vielleicht 35 Prozent haben, nicht die absolute Mehrheit.Man muss davon ausgehen, dass die Leute, die jetzt auf die Straße gehen, keine Nichtwähler sind. Und das ist nicht die Generation, die zum Beispiel die Geschlechtertrennung durchsetzen möchte, das sehen Sie auch auf der Straße. Da sind alle Seit' an Seit' – mit Kopftuch, ohne Kopftuch.
Diese Generation ist so geprägt von Globalisierung und Internet, dass sie keine Partei an der Regierung will, die zum Beispiel dafür sorgt, dass Frauen und Männer an den Stränden getrennt baden.

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