Mit harter Hand gegen Marsch in Algier
Das algerische Regime erstickt den politischen Widerstand / Ausnahmezustand seit 19 Jahren
Der Karikaturist der algerischen Tageszeitung »El Watan« kommentierte dieser Tage die Umbruchstimmung in der Region mit einer wenig schmeichelhaften Zeichnung des saudischen Königs, der ins Telefon sagt: »Husni, wenn du Bouteflika und Gaddafi mitbringst, mach ich euch einen Gruppentarif.« Damit spielte er nicht nur auf die in der arabischen Welt berüchtigte Geschäftstüchtigkeit der Saudis und die Angst des Westens vor dem Domino-Effekt nach dem tunesischen Volksaufstand an, sondern drückte durchaus den Wunsch der Völker aus, sich der Despoten zu entledigen. Doch wird das Beispiel Tunesien in seiner Wucht und Geschwindigkeit wohl einmalig bleiben.
So hatten dieser Tage neun junge Algerier gehofft, durch Selbstanzündung einen ähnlichen Aufstand losbrechen zu können. Zwei von ihnen sind gestorben. Aber die Reaktion bei der Bevölkerung blieb aus. Weitere drei arbeitslose Algerier verstümmelten ihre Körper mit Rasierklingen, um auf ihre hoffnungslose soziale Lage aufmerksam zu machen. Auch das reichte nicht aus, um die Menschen auf die Straße zu bringen.
Proteste gegen die Obrigkeit gehören in Algerien seit Jahren zum Alltag. Rathäuser werden angegriffen, Straßen mit brennenden Reifen versperrt, Streiks und Proteste organisiert. Jedes Mal greift die Polizei ein, in den wenigsten Fällen werden die Forderungen der Menschen erfüllt. »In Algerien gibt es eine neue Art, einen Wohnungsantrag zu stellen: Du musst einen Reifen anzünden«, sagt ironisch der 40 Jahre alte Kader, der zu einer oppositionellen Gruppe von Intellektuellen gehört. Seit zwei Jahren organisieren sie Aktionen, die sie fast zeitgleich ins Internet stellen. Allerdings beträgt der Anteil der Nutzer in Algerien lediglich 13 Prozent der Bevölkerung. In Tunesien, wo der Aufstand nicht zuletzt dank Facebook erfolgreich war, sind es 30 Prozent. Anders als im Tunesien Ben Alis lässt der algerische Staat solche »Ventile« des Unmuts zu, um ein Anstauen der Wut zu verhindern.
Ohnehin ist die Bevölkerung nach den langen Jahren des Terrorismus erschöpft. Mehr noch aber bremst die Enttäuschung bei den meisten jeglichen Willen zur Aktion. Nach 20 Jahren Widerstand gegen das Regime sind immer noch dieselben Personen an der Macht, die sich derselben mafiösen Strukturen bedienen. Anders als in Tunesien spielt hier das Militär die entscheidende Rolle und gilt durch die Verstrickung jetziger und ehemaliger Generäle in die Wirtschaft als Garant für Korruption und Vetternwirtschaft.
Wichtigstes Instrument ist der seit 19 Jahren geltende Ausnahmezustand. »Er war ursprünglich zur Bekämpfung des Terrorismus eingeführt worden. Jetzt wird er von den Machthabern gegen das algerische Volk benutzt, um jegliche Meinungsäußerung zum Regime zu verhindern«, kritisiert der Präsident der algerischen Menschenrechtsliga, Mostefa Bouchachi. »Die Parteien und Vereine werden bei ihren Aktivitäten behindert. Schlimmer noch: Das Regime hat alles getan, um deren Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung zu zerstören. Das Ergebnis ist, dass es bei den Unruhen in Algier Anfang Januar keinerlei politische Kraft gab, die den Unmut der jungen Leute in Bahnen hätte lenken können«, sagte Bouchachi »El Watan«.
Dennoch hatte vor einer Woche eine Oppositionspartei zu einem Protestmarsch aufgerufen und bekam prompt die harte Hand des Staates zu spüren: Dutzende Verletzte und Festgenommene.
Ungeachtet dessen hat ein breites Bündnis zu einer neuen Protestaktion aufgerufen. Unabhängige Gewerkschaften und Vereine wollen am 12. Februar die Bevölkerung in Algier auf die Straße bringen. Für Bouchachi eine Chance, um Schlimmeres zu verhindern: »Es gibt nur zwei Wege: Entweder wir warten auf eine Revolution wie in Tunesien und Ägypten oder wir legen Weisheit und Nationalismus an den Tag, um das System zu ändern. Letzteres wollen die Organisatoren des Marsches in Algier.«
Fotos auf diesen beiden Seiten:
dpa(5), AFP (1)
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