Kairo und der Bayerische Hof
Aktuelle Ereignisse schrieben neue Agenda
Eigentlich stand das Programm der diesjährigen Konferenz. Vom Dauerkonflikt Afghanistan bis zum »Cyberwar« und den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die globale Sicherheit als neue Herausforderungen reichte die Agenda, und auch das Thema Nahost fand sich im Zeitplan. Zumal sich das gleichnamige diplomatische Quartett (USA, EU, Russland, UNO) auf Initiative und unter Vorsitz der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Rande der Münchener Veranstaltung zu Beratungen treffen will.
Doch nun dürften der viel beschworene »Krieg via Internet« und die längst bestehenden Militär- und Geheimdienststrukturen auf diesem neuen Schlachtfeld wieder in den Hintergrund treten. Die Entwicklungen in Nordafrika, vor allem der Bürgeraufstand in Ägypten, oder die Frage nach den Auswirkungen dieser Ereignisse auf den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern diktieren inzwischen die Tagesordnung mehr, als sich das auch der Konferenzchef Wolfgang Ischinger vor vier, fünf Wochen noch vorstellen konnte.
Am Samstagnachmittag hat der frühere Spitzendiplomat jetzt Debattenraum freigeschaufelt. Ausreichend Politiker und sonstige Experten aus der Region stehen ja auf der Gästeliste. Auch Obamas Sonderbeauftragter Frank Wisner, der zuletzt in Kairo Präsident Husni Mubarak im Auftrag seines Dienstherrn zur Machtübergabe gedrängt hat, ist angefragt. Ischinger selbst redet einer »verantwortungsvollen« Förderung der Demokratie das Wort und warnte mit Blick auf Kairo vor populistischen Slogans wie »Weg mit Mubarak«. Nicht jeder davongejagte Diktator werde zwangsläufig von einer Demokratie ersetzt. Es gebe keine einfachen Lösungen. Doch bei der »Gratwanderung zwischen Realpolitik und idealen Ansprüchen« müsse die EU den demokratischen Kräften gut zuhören – nicht immer habe sie sich bisher dieser »Aufgabe überzeugend gestellt«. Mehr diplomatische Floskel geht kaum.
An anderer Stelle ließ der Konferenzmacher allerdings die Muskeln spielen und hat den belorussischen Außenminister mit Verweis auf die Vorgänge um die Präsidentenwahlen kurzerhand wieder ausgeladen. Äthiopiens Regierungschef Meles Zenawi dagegen erhielt von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel eine eindrückliche Einladung zur Konferenz; die Bundesregierung soll in München Gespräche über eventuelle neue Operationen in Somalia planen. Addis Abeba versucht sich seit Längerem als prowestliche Ordnungsmacht am Horn von Afrika zu positionieren. Scharfe Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen gegen die katastrophalen Zustände im Lande sind da offensichtlich zweitrangig.
Noch ist unklar, ob auch Iran wieder einen hochrangigen Vertreter nach München schickt. Aus Afghanistan kommt auf alle Fälle Präsident Hamid Karsai, doch Vorschläge zur baldigen Beendigung des Krieges am Hindukusch sind angesichts der handverlesenen Zusammensetzung der Konferenz nicht zu erwarten.
Auch wenn sich Ischinger immer wieder gegen den Vorwurf wehrt, einem Propagandaforum für NATO-Einsätze vorzustehen, und selbst wenn dort die Außenminister Russlands und der USA in diesem Jahr die Ratifizierungsurkunden für den START-Nachfolgevertrag austauschen wollen und das atomare Abrüstungsabkommen damit in Kraft tritt, in München geht es nun einmal auch darum, wie der militärische Arm des Westens in Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen am effektivsten Krieg führen kann – gesponsert von Rüstungskonzernen wie EADS und der Bundesregierung. Fast 800 000 Euro lässt sich Berlin das Spektakel kosten, 330 Bundeswehrsoldaten werden für diesen Inlandseinsatz abgestellt. Und während man im »Bayerischen Hof« über die Demonstrationen in Kairo oder Tunis redet, wird die Tagungsstätte von tausenden Polizisten gegen Münchener Demonstranten abgeschottet.
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