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»Geraubte Kinder« fordern Aufklärung

Spanien: Opfer des Menschenhandels unter Franco werden von der Regierung hingehalten

  • Lesedauer: 4 Min.
Von Ralf Streck, San Sébastian

Unter der faschistischen Franco-Diktatur florierte in Spanien der Handel mit Kindern, die ihren Müttern geraubt wurden. Die Opfer fordern nun Aufklärung – doch Madrid stellt sich taub.

Es war ein Schock für die Spanierin María Labarga, als sie über einen ungeheuerlichen Vorgang informiert wurde: »Dein Vater hat mir erzählt, dass du nicht seine Tochter bist, sondern gekauft wurdest«, sagte ihr die Tante am Telefon. Die 42-Jährige hatte zwar nie einen Verdacht, aber stets eine leise Ahnung in sich getragen. Doch erst vor vier Jahren, auf dem Sterbebett, rückte der Mann, den María 38 Jahre lang für ihren Vater hielt, mit der Wahrheit heraus. Ihr Leben wurde aus den Angeln gehoben, noch immer ist sie auf der Suche nach sich selbst. »Mein Leben ist eine Lüge, alles ist falsch, ich weiß nicht, wer ich bin, wo ich geboren wurde, was passiert ist«, erklärt sie.

Für 200 000 Peseten wurde María gekauft; so viel kostete 1969 auch eine Wohnung in Spanien. Juan Luis Moreno und Antonio Barroso gingen im selben Jahr für jeweils 150 000 Peseten in einer Gesundheitsstation von Saragossa »über den Ladentisch«. Ein Priester verkaufte sie an zwei befreundete Familien aus Barcelona, die keinen eigenen Nachwuchs hatten.

Weil sie in der Schule stets als »Adoptivkinder« gehandelt wurden, bestätigte der »Vater« gegenüber Juan Luis kurz vor seinem Tod nur noch, was der »Sohn« längst ahnte. Daran änderte nichts, dass in allen Urkunden die falschen Eltern vermerkt waren. Schnell fanden auch diese beiden heraus, dass sie keine Einzelfälle waren, und schlossen sich der »Vereinigung der irregulären Adoptionen« (Anadir) an.

Um endlich Licht in den Menschenhandel zu bringen, hat Anadir kürzlich eine Sammelklage für 261 »geraubte Kinder« eingereicht. Denn ein Mantel des Schweigens breitet sich weiter über die Vorgänge aus, die inzwischen allseits bekannt sind und ihren Ursprung in den 40 Jahren der brutalen Franco-Diktatur haben. Auch die Regierung der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) tut sich 36 Jahre nach dem Tod des Diktators mit der Aufarbeitung der Verbrechen schwer. Dabei steht ihr mit José Luis Rodriguez Zapatero ein Ministerpräsident vor, dessen eigener Großvater von den Faschisten hingerichtet wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Anadir-Anwalt lediglich mitgeteilt, »nicht die Mittel zu haben, um alle Fälle zu untersuchen«. Das sollten die Provinzstaatsanwälte leisten.

Dieses Vorgehen ist bekannt. Dasselbe geschah mit den Versuchen, Licht in die Vorgänge zu bringen, die sich um zehntausende Opfer der Diktatur ranken, die noch heute überall im Land in Massengräbern verscharrt sind. Passiert ist an den Provinzgerichten wenig und es ist zu bezweifeln, dass dort Mittel, Wille und Mut vorhanden sind, sich mit dem neuen Anliegen zu beschäftigen. Bisherige Untersuchungen schätzen, dass 300 000 Kinder geraubt wurden.

Anadir-Anwalt Enrique Vila Torres will das Ministerium für Staatsanwaltschaft in die Pflicht nehmen. In Madrid müsse eine zentrale Datenbank mit genetischen Fingerabdrücken aufgebaut werden, um die wirklichen Eltern ermitteln zu können. Er geht davon aus, dass eine »kriminelle Organisation mit ökonomischer Macht, Zwischenhändlern und Kliniken diese Kinder angeboten hat«. Behörden oder Beamte müssten ebenfalls in großer Zahl verwickelt gewesen sein: »Die Kinder wurden niemals in den Gemeinden registriert, in denen sie geboren sind«, erklärt Vila.

Zunächst war der Kinderraub politischer Natur. Die Putschisten raubten Republikanerinnen, Linken, katalanischen und baskischen Nationalistinnen in den Gefängnissen ihre Kinder. »Wegen ihrer schädlichen Ideen« seien sie für die Erziehung ungeeignet, schrieb die franquistische »Kinderschutzbehörde«. Aus deren Bericht geht hervor, dass fünf Jahre nach dem Franco-Sieg im Bürgerkrieg, also 1944, mehr als 12 000 Kinder von Gegnern des Diktators »umerzogen« wurden. Die Zahl stieg 1954 sogar auf 54 000.

Meist wurde im klerikalfaschistischen Spanien die Umerziehung Klosterschulen oder Priesterseminaren übertragen. Später wurde mit dem Kinderhandel ein lukratives Geschäft betrieben, das noch bis in die 90er Jahre andauerte. Den Frauen wurde in den Kliniken oft erklärt, ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben. Faschistische Seilschaften, die später im Übergang zur Demokratie amnestiert wurden, dienten auf allen Ebenen dafür, die Geschäfte abzuwickeln und falsche Dokumente zu besorgen. Erst 1987 wurde mit dem Adoptionsgesetz der verbreiteten Praxis des Kinderhandels ein Riegel vorgeschoben.

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