»Dann kriegen Sie kalte Wut«
Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer bereitet Streiks ab Mitte Februar vor / Claus Weselsky, Vorsitzender der Lokführergewerkschaft GDL, über anstehende Arbeitskämpfe
ND: Die GDL ruft die Lokomotivführer im Februar zu Warnstreiks auf. Worauf müssen sich die Menschen hierzulande einstellen?
Weselsky: Wir werden am 16. Februar in Berlin eine Protestveranstaltung durchführen, zu der wir rund 1000 Mitglieder erwarten. Die werden deutlich machen, dass es hier nicht um eine Forderung von einem Gewerkschaftsvorstand geht, sondern um ein zwingendes Erfordernis für den Markt der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Im Anschluss werden wir zu Arbeitskämpfen übergehen. Am Anfang sind das Warnstreiks, aber wir werden parallel dazu die Urabstimmung einleiten, um die nötige Rechtssicherheit zu haben und den Willen unserer Mitglieder zu signalisieren.
... gleich die Urabstimmung?
Eine Urabstimmung mache ich doch dann, wenn ich Arbeitskämpfe beschließe, um letztlich rechtssicher auch mehr als Warnstreiks durchführen zu können. Es ist momentan unwahrscheinlich, dass die Arbeitgeber ohne Weiteres einknicken werden und uns verbesserte Angebote machen bzw. dass die G 6 überhaupt noch bereit sind, mit uns zu verhandeln,
Kann es also sein, dass bald ein unbefristeter Streik der Lokomotivführer ins Haus steht?
Wir müssen als GDL sehr verantwortungsvoll mit unserem Machtinstrument Arbeitskampf umgehen. Wenn wir streiken, kommt nach einer kurzen Zeit der Bahnverkehr fast komplett zum Erliegen, und das beeinträchtigt nicht nur unsere Fahrgäste, sondern das Land insgesamt. Insofern fabuliere ich nicht über unbefristeten Streik, sondern rede über zeitlich befristete Arbeitskampfmaßnahmen.
Die Warnstreiks werden bundesweit durchgeführt?
Die Verhandlungen sowohl mit den G 6 als auch mit der DB AG sind gescheitert. Bundesweite Arbeitskämpfe sind selbstverständlich sinnvoll, um hier die entsprechende Wirkung zu erzielen. Bei der Schaffung des Flächentarifvertrages geht es um alle Lokführer bundesweit.
Was fordert die GDL im Bereich Schienengüterverkehr. Da wird noch verhandelt.
Es geht nicht nur um Güter. Wir fordern für alle eine Erhöhung des Monatstabellenentgelts, eine einheitliche Wochenarbeitszeit, dass die Zulagen – Nacht-, Sonn- und Feiertagszulagen sowie die Fahrentschädigung – einheitlich geregelt sind. Damit könnten wir das Lohndumping im Eisenbahnverkehrsmarkt beenden. Das können wir nicht mit dem, was als »der Jahrhundertabschluss« in dieser Republik angepriesen wird.
Sie meinen den Branchentarifvertrag für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV), den die DGB-Eisenbahngewerkschaft EVG jüngst mit der DB AG und den G 6 abgeschlossen hat.
Ja. Nach einer ersten Analyse, trägt dieser Tarifvertrag dazu bei, dauerhaft das Einkommensniveau abzusenken. Es gibt schon seit Jahren Wettbewerb auch im Güterverkehr, und spätestens im nächsten Jahr beginnt der Wettbewerb im Fernverkehr. Deswegen macht es keinen Sinn, einen Tarifvertrag, der die Einkommen vernünftig regeln soll, nur auf den Nahverkehr zu beschränken.
Es ging der EVG aber auch darum, gegen das Lohndumping gerade im SPNV überhaupt eine Untergrenze einzuziehen ...
Ich halte nichts davon, wenn schlecht organisierte, schwache Gewerkschaften Tarifverträge abschließen, die sie aufgrund mangelnder Stärke auch nicht besser gestalten können. Ich halte noch weniger davon, wenn eine schwache Gewerkschaft Tarifverträge für einen Bereich abschließt, in dem sie so gut wie nichts zu sagen hat.
Wir müssen uns nicht wundern, wenn die Arbeitgeber gerne auf diese Gewerkschaft zugehen. Sie hat keine Kraft, keine Mitglieder und am Ende des Tages willfährig ein niedriges Tarifniveau. Das ist die Krux in unserem Gesamtmarkt. Wenn die Gewerkschaften für das Soziale in der Marktwirtschaft zuständig sind, dann ist es auch notwendig, dass die Gewerkschaften die dafür nötige Stärke haben.
Wie sollen denn Gewerkschaften diese »nötige Stärke« erreichen?
Durch eine vernünftige Tarifpolitik und eine sachorientierte, fachlich richtige Interessenbedienung. Eine querbeet aufgestellte Großgewerkschaft, die 150 Berufsgruppen abbildet, kann das nicht leisten. Wir haben 20 Prozent Organisationsgrad in diesem Lande, und das liegt daran, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mit ihren Gewerkschaften identifizieren können.
Wann ziehen die Eisenbahngewerkschaften in Deutschland an einem Strang? Die Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes und die Privatisierungen sind ja nicht vorbei. Den Beschäftigten ist kaum geholfen, wenn sich GDL und EVG spinnefeind sind
Wenn Sie als GDL-Vorsitzender erleben, dass eine Gewerkschaft, die Ihr Klientel, die Lokführer, nicht als Mitglied hat, aber so tut, als wäre sie die größte Eisenbahnergewerkschaft überhaupt und ihre Politik darauf ausrichtet, Sie als GDL zu vernichten, dann kriegen Sie nicht kalte Füße, sondern dann kriegen Sie die kalte Wut – und fangen an, dem entgegenzuwirken. Es gibt einen Grundlagentarifvertrag, in dem steht, dass GDL die Lokführer tarifiert und EVG die anderen Beschäftigten. Meine These ist: Stärke erwächst nicht unbedingt durch Fusion, aber ich schließe nicht aus, dass es bei einem realistischen Betrachtungsansatz auch der Kollegen der EVG und einer Partnerschaft, die auf Augenhöhe stattfindet, in Zukunft zu Gemeinsamkeiten kommen kann. Nur unter dem Ansatz, dass der eine dem anderen die Existenzberechtigung abspricht, geht das nicht.
Die Spartengewerkschaften stehen dagegen unter dem Verdacht, sich nur um die Interessen der eigenen Klientel zu kümmern.
Wir haben 30 Prozent der Zugbegleiter bei uns und nehmen deren Interessen wahr. Sie haben gleiche Arbeitsbedingungen und damit gleiche Probleme. Lokführer wollen keineswegs nur ihre eigenen Einkommen nach oben drücken. Denken sie an den Abschluss 2008: Im Juli 2007 schließt die Transnet mit 4,5 Prozent Einkommenserhöhung einen Tarifvertrag ab. Im März 2008 schließt die GDL mit elf Prozent ab, was anschließend auf alle Eisenbahner angewendet wird. Wo sollen denn die Egoismen sein? Zudem: Wenn wir glauben, dass es besser ist, wenn alle in einer Großgewerkschaft sind, dann wird mir ganz anders. Ich war schon einmal in einer Einheitsgewerkschaft, nämlich in der einzigen, die es in der DDR gab.
Die Großgewerkschaften müssten in erster Linie daran arbeiten, ihren Organisationsgrad zu erhöhen – nicht daran, uns zu vernichten. Und das können sie, wenn sie vernünftige Tarifverträge machen, die auch die Interessen einzelner Berufsgruppen berücksichtigen.
Die gesetzliche Tarifeinheit, wie sie der Arbeitgeberdachverband BDA und der DGB gemeinsam wollen, ist der falsche Weg?
In dem Moment, in dem die Arbeitgeber anfangen, über die Solidarität der Arbeitnehmer untereinander zu reden, steht für mich schon fest: Wir haben etwas falsch gemacht. Mein natürlicher Gegner, der in der Sache eine vollkommen entgegengesetzte Interessenlage hat, fängt an, die Interessen zu vertreten, die ich vertreten müsste. Das Ziel auf Arbeitgeberseite ist doch glasklar. Der lebt doch viel besser mit einer Großgewerkschaft, die bloß 20 Prozent Organisationsgrad hat, als mit einer spezialisierten Berufsgewerkschaft, die 80 Prozent hat. Im Arbeitgeberlager tut es niemand weh, dass es die GDL als Berufsgewerkschaft gibt, sondern dass sie 80 Prozent Organisationsgrad hat. Davor kriegen die Arbeitgeber Angst und Schrecken.
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