Blockade für die Blockierer
Dresden, 13. Februar: Stadt lässt Nazis laufen
Der Bau in der Dresdner Schießgasse ist ein einschüchterndes Gebäude. Die 134 Meter lange Fassade des ab 1895 im Stil des Historismus errichteten Bauwerks mit seinem wuchtigen Portal lässt Passanten schrumpfen. Diese Wirkung ist kalkuliert: Seit 1901 ist hier die Zentrale der Dresdner Polizei ansässig. In der NS-Zeit machte sich auch die Geheime Staatspolizei in dem Gebäude breit. Regimegegner wurden hier in »Schutzhaft« gehalten, es gab zahlreiche gewaltsame Todesfälle. Das Gebäude sei, heißt es auf einer Tafel am Bürgersteig, ein »Ort des Staatsterrors« geworden, an dem »denunziert, entrechtet und gemordet wurde«. Es war, sagt Judith Förster, ein »Täterort«.
Das Bündnis »Dresden nazifrei«, dessen Sprecherin Förster ist, hatte für den morgigen Sonntag zu einem »Mahngang« eingeladen, der auch durch die Schießgasse führen sollte – so wie zur früheren Pillnitzer Straße, wo NS-Gegner im Untersuchungsgefängnis »Mathilde« gefoltert wurden, oder zur Comeniusstraße, wo in Nummer 32 Martin Mutschmann wohnte, NS-Gau-leiter und zeitweiliger sächsischer Ministerpräsident. »Täterspuren« heißt der Rundgang, zu dessen Anliegen Förster sagt: »Wir wollen in der Diskussion um das Gedenken anmerken, dass Dresden keine unschuldige Stadt war.«
Die Legende, dass die Kunststadt Dresden ab dem 13. Februar 1945 völlig unverschuldet von britischen und US-amerikanischen Bombern zerstört wurde, saß lange fest in den Köpfen nicht weniger Bürger, die still der Opfer gedachten, ohne über den Ursprung des Krieges zu reden oder die Mitverantwortung einer Stadt, in der »rassische Politik und Propaganda in vielen Bevölkerungskreisen auf Verständnis stößt und bereits in vielen Fällen Ansporn zur Mitarbeit gewesen ist«, wie die Gestapo 1935 schrieb.
Unverschämt zugespitzt wird die These von Rechtsextremen, die seit mehr als zehn Jahren zum »Trauermarsch« laden, die Opferzahl auf 250 000 und damit das Zehnfache dessen übersteigern, was Historiker ermittelt haben, und von einem »Bombenholocaust« sprechen – ein Begriff, der den organisierten Mord an den europäischen Juden verharmlosen soll. Lange bewegte sich der gespenstisch-düstere Zug, untermalt von Wagner und Sibelius, weitgehend ungestört durch die Stadt – das europaweit gewichtigste Treffen der rechten Szene. Erst 2010 gelang es Initiativen wie dem Bündnis »Dresden nazifrei«, mehr als 12 000 Menschen zu mobilisieren und den Marsch zu blockieren. Zugleich raffte sich die Stadtspitze zum zumindest symbolischen Protest auf und lud zur Menschenkette um die Innenstadt.
In einem Ladengeschäft in der Dresdner Neustadt arbeiten Judith Förster und ihre Mitstreiter vom »Nazifrei«-Bündnis seit Monaten darauf hin, dass es nicht bei einem einmaligen Dämpfer für die Szene bleibt – die diesmal zu zwei Kraftproben lädt: für morgen und für nächsten Samstag. Den von den Nazis für den eigentlichen Jahrestag angemeldeten Fackelmarsch wolle man durch kreativen Protest begleiten; am 19. Februar, für den Kenner mit bis zu 10 000 Rechten rechnen, »wollen wir, dass sich die Nazis wieder die Beine in den Bauch stehen«, sagt Förster.
Ob es dazu kommt, ist derzeit freilich völlig offen. Zwar finden Plakate des Bündnisses reißend Absatz; Mobilisierungsvideos bei Youtube und eine Seite bei Facebook stoßen bundesweit auf Zuspruch; und am Samstag werden mindestens 250 Busse mit Gegendemonstranten in Dresden erwartet. Auf unfreiwillige Werbung wie 2010, als Staatsanwälte die Plakate mit dem Blockadeaufruf beschlagnahmen sowie Büros durchsuchen ließen und das Bündnis erst richtig bekannt machten, könne man verzichten, sagt Förster: »Mit dem Erfolg von 2010 haben wir uns etabliert.«
Diesmal indes hat die Justiz den Blockierern einen härteren Knüppel zwischen die Beine geworfen – in Gestalt eines Urteils des Dresdner Verwaltungsgerichts, das die Polizei scharf rügt. Diese hätte 2010 den genehmigten Aufzug der Nazis mit »geeigneten Mitteln« ermöglichen und gegen »störende Gegendemonstranten« einschreiten sollen. Stattdessen habe sie die Blockaden »sehenden Auges« ermöglicht, weil das mit der Stadt vereinbarte »Trennungskonzept« unzureichend umgesetzt wurde.
Aus dieser richterlichen Watsche hat man in der Schießgasse sowie im nahe gelegenen Rathaus offenbar Konsequenzen gezogen: Jegliche Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch, der in der Altstadt stattfinden soll, wurden auf die Neustädter Elbseite verbannt, darunter der »Mahngang« des Bündnisses, aber auch die traditionelle Mahnwache, die von den Bündnisgrünen am Denkmal für die Trümmerfrau vor dem Rathaus abgehalten wird. Man wolle »die unterschiedlichen politischen Lager trennen«, beschreibt Polizeipräsident Dieter Hanitsch die Devise, die im Lagezentrum in der Schießgasse morgen und vermutlich auch erst recht am 19. Februar gilt. Nur die erneut geplante Menschenkette wird in der Altstadt erlaubt – zu einer Zeit, da die Nazis sich erst sammeln.
Gegner des braunen Spektakels sind angesichts dieser Strategie erschüttert. Damit drohe ein »großer Rückschritt« gegenüber 2010, sagt Christian Demuth von der Initiative Bürger.Courage; offenbar gebe es »kein Konzept zur Bekämpfung der rechtsextremen Aufmärsche«. Der grüne Abgeordnete Johannes Lichdi pocht auf das »Grundrecht auf Protest in Sicht- und Hörweite« der Nazis; sein Parteikollege Michael Schmelich stellt aber fest, die Stadt habe »der Mut verlassen«. André Schollbach, Chef der Linksfraktion im Stadtrat, wirft der Rathausspitze vor, »eklatant versagt« zu haben, und fügt hinzu, nicht jede rechtlich zulässige Entscheidung sei auch vernünftig. Judith Förster warnt mit Verweis auf entsprechende Ankündigungen von Nazis im Internet vor einem »erschreckenden Szenario«: Während kritische Proteste aus der Altstadt verbannt würden, könnten sich Neonazis in die Menschenkette einreihen »und sich den goldenen Schlüssel für die Altstadt abholen, in der sie dann ungestört marschieren können«.
Das Bündnis will sich dem nicht fügen und hat Widerspruch beim Oberverwaltungsgericht eingelegt, über den gestern Abend entschieden werden sollte. Zur Not soll danach das Bundesverwaltungsgericht angerufen werden. Den Vorschlag der Stadt, den Mahngang in die Neustadt zu verlegen und etwa am dortigen Bahnhof anzuhalten, von wo die Dresdner Juden deportiert wurden, werde man nicht befolgen: »Wir wollen zeigen, wo Täter gelebt und gewirkt haben.« Die Verlagerung komme »de facto einem Verbot« gleich. Bleibt das juristische Vorgehen erfolglos, wird man spontan entscheiden und sich vermutlich trotzdem am Ex-Wohnort des Gauleiters treffen. Wie es weitergeht, entscheidet sich dann in der Schießgasse 7 – dem heutigen Lagezentrum der Polizei.
Mahngang und Massenblockaden
Gegen die Nazi-Aufzüge in Dresden wird mit unterschiedlichen Aktionen protestiert. Am 13. Februar lädt die LINKE für 9:30 Uhr am Bahnhof Neustadt zum Gedenken an die NS-Opfer. Um 11 Uhr soll in der Comeniusstraße der »Mahngang« des Bündnisses »Dresden nazifrei« zu Täter-Orten beginnen. Ab 13 Uhr sammeln sich Bürger in der Innenstadt zur Menschenkette, die 14 Uhr für fünf Minuten geschlossen werden soll. Für 14 Uhr hat auch das Nazifrei-Bündnis eine Kundgebung mit Musik (u.a. Sebastian Krumbiegel) auf dem Friedrich-Liszt-Platz am Hauptbahnhof angemeldet, wo sich zu dieser Zeit die Nazis sammeln. Ob die Stadt diese Protestaktion zulässt, ist noch offen.
Für den 19. Februar wird weiter bundesweit zu Massenblockaden mobilisiert; das Bündnis will die Zahl von 12 000 Teilnehmern, die im Vorjahr erreicht wurde, »knacken« und strebt 15 000 Protestierer an. Bislang sind 250 Busse angekündigt. Angesichts der Polizeitaktik solle »flexibler und mobiler« versucht werden, die Nazis zu stoppen. hla
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