Bundesrat bestellt neue Karten im Hartz-IV-Poker
Vermittlungsausschuss soll weiteren Versuch zur Einigung über Reform starten / Bundesregierung kommt Kommunen entgegen
Berlin (ND-Kalbe). Am Freitag beschloss der Bundesrat überraschend die erneute Anrufung des Vermittlungsausschusses und verhinderte damit, dass das Gesetzesverfahren ganz von vorn begonnen werden musste. Denn die Ablehnung des vorliegenden Entwurfs in der Länderkammer war wegen der dort herrschenden Mehrheitsverhältnisse sicher. Bevor es dazu kommen konnte, sorgte eine Initiative des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), für eine Lösung unterhalb des politischen Eklats. Gemeinsam mit ausgewählten Amtskollegen, darunter der Regierungschef Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer (CDU), und Bayerns, Horst Seehofer (CSU), vereinbarte er die Fortsetzung der Verhandlungen. Vor Jahresfrist hatte das Bundesverfassungsgericht das geltende, einst von Rot-Grün initiierte und Union und FDP mitgetragene Recht für verfassungswidrig erklärt.
Per Handschlag versicherten sich die an der Absprache beteiligten Länderchefs gegenseitig ihrer redlichsten Absichten, der danach vorgelegte Beschluss fand den allgemeinen Beifall und schließlich das einhellige Votum der Landesregierungen. Doch schon die Debatte vor der Abstimmung im Bundesrat war ein Abbild der Zerstrittenheit in den vergangenen sieben Wochen im Vermittlungsausschuss. Chefunterhändlerin und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) freute sich, dass ihre Kontrahentin in den Verhandlungen, SPD-Vizechefin Manuela Schwesig, endlich »den Ton der Vernunft gefunden« habe. Als der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) allein den Regelsatz und einige Sonderbedarfe von Hartz-Betroffenen, wie Kühlschränke und Mittel für ihre Mobilität, zum Gegenstand der nun kommenden Verhandlungen erklärte, widersprach ihm Kurt Beck umgehend. Man habe einen »Korridor« für die Verhandlungen festgelegt. Es gelte, Überfrachtungen zu vermeiden, ebenso allerdings dürften keine Lösungsansätze ausgeschlossen werden.
Also Streit wie vorher, alles wie gehabt? Für eine etwas entspanntere Atmosphäre hat die Bundesregierung mit einem Angebot gesorgt, von dem sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine »deutliche Entlastung der Kommunen« verspricht, wie dessen Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg wissen ließ. So soll die Altersgrundsicherung stufenweise und ab 2015 dauerhaft vom Bund übernommen werden – eine alte Forderung der Kommunen.
Am grundsätzlichen Problem ändert die Aussicht auf neue Verhandlungen allerdings vorerst nichts. Der Streit um fünf oder elf Euro Regelsatzerhöhung kann zu keinem Ergebnis führen, das Sozialverbände und Betroffenen für angemessen halten und sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht berufen. Dieses hat nämlich nicht nur Transparenz der Berechnung, sondern auch eine Höhe der Unterstützung verlangt, die eine menschenwürdige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erlaubt. Die Szenerie offenbare, erklärte die Vorsitzende der Linkspartei Gesine Lötzsch am Freitag, »wie weit sich alle Hartz-IV-Parteien von der Lebenssituation der Millionen Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen entfernt haben«.
Dies hatte schon die Debatte am Vormittag im Bundestag gezeigt, wo der Gesetzentwurf mit schwarz-gelber Mehrheit angenommen worden war. Hier klagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der LINKEN, Dagmar Enkelmann, die übrigen Fraktionen an, ihre Partei von den Verhandlungen ausgeschlossen zu haben, weil diese ihnen den »Spiegel vor das Gesicht« gehalten habe. Mit »Schluss jetzt!«, »Setzen!« und »Unverschämtheit!« machten die Gescholtenen ihrem Ärger laut Luft. Erwartungsvoll sehe ihre Fraktion der Einladung in die nächste Runde des Vermittlungsausschusses entgegen, sagte Enkelmann danach. Die Fraktion lässt das Verfahren gerichtlich prüfen.
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