Heißer Draht zwischen Pentagon und Ägyptens Militärführung
Ein transatlantischer »Militär-Industrie-Komplex«
Wenn der Unsicherheitsfaktor, die Massendemonstrationen, abflauen, werde man Ägyptens Obersten Militärrat ermutigen, die Notstandsgesetze abzuschaffen, hieß es aus Washington. Aber sonst ist fast alles im Argen, etwa die Zukunft Mubaraks. Falls der gestürzte Präsident und seine Familie tatsächlich über ein geschätztes Vermögen von 40 bis 70 Milliarden Dollar verfügen, dann spielen sie in der Bill-Gates-Liga. Das Vermögen stammt aus Liegenschaften und Investitionen in Ägypten – geraubt, wie viele Ägypter meinen. Aber die Eigentumsverhältnisse sind trotz »Revolution« nicht angetastet worden. Mubarak versorgte in den 32 Jahren seiner Herrschaft die führende Militärkaste mit Zuwendungen, Begünstigungen, Verträgen, Kontakten und Profiten. Keine Frage also, dass er von seiner Villa am Roten Meer aus wirtschaftlich weiter mitmischt.
Paul Amar, Professor für internationale Beziehungen an der University of California, beschreibt in einem viel diskutierten Artikel die große Mehrzahl des ägyptischen Militärs als »stolze Nationalkapitalisten«. Die Streitkräfte seien ein »Staat im Staate«, Ägypten immer noch eine Militärdiktatur, von den USA Ende der 70er Jahre zum Frieden mit Israel gedrängt und seitdem mit Dollars gemästet.
In den letzten Jahren, so Amar, habe das Militär jedoch »kollektiv ein wachsendes nationales Pflichtgefühl« und das Bedürfnis entwickelt, die »Ehre wiederherzustellen« – auf Seiten der Bevölkerung, angewidert von der Korruption der Sicherheitspolizei und der globalisierten Geschäftemacherei etwa des Mubarak-Sohns Gamal. Innerhalb der Armee hätten sich die Luftwaffe und die Präsidialgarde hinter Mubarak gestellt, der große Rest hinter die Bevölkerung. Weist dies auf einen baldigen »regime change« und Chancen für eine Demokratisierung hin?
»New York Times«-Kolumnist Nicholas Kristof, der sich in Kairo befindet, warnt vor einem »zweiten Pharao«, einer Fortsetzung des Mubarak-Regimes ohne Mubarak. Hohe Generäle hätten Interesse an einer »politischen und wirtschaftlichen Struktur, die zutiefst ungerecht und repressiv ist«. Wenn das Militär nun die Macht übernommen habe, »welchen Unterschied macht das?«, fragt Kristof.
Auch in der Denkfabrik »Council of Foreign Relations« überwiegt Skepsis. Politikprofessor Ellis Goldberg von der American University hält eine Demokratisierung unter der Ägide des Militärs für unwahrscheinlich. Statt einer Machtübergabe an das Volk werde es zur »Rückkehr zu einer strengen militärischen Herrschaft der vergangenen Jahrzehnte« kommen, meint Goldberg. Seine Begründung: Die Erfüllung der Forderungen nach Beendigung des Ausnahmezustands, freien unabhängigen Wahlen und Organisationsfreiheit für politische Parteien würde »die Machtstruktur auflösen, die die Armee 1952 geschaffen und seitdem gestützt hat«.
Offen bleibt die Frage nach dem finanziellen Hebel, den die USA ansetzen könnten, um das Militär zu einer Demokratisierung zu zwingen. Immerhin überweist Washington jährlich 1,3 Milliarden Dollar, ein Drittel des ägyptischen Militärhaushalts, nach Kairo. In einem Forschungsbericht des Kongresses heißt es dazu, eine Beschneidung der Militärhilfe für Ägypten laufe USA-Interessen grundsätzlich zuwider – was Kairo wiederum klar sei.
Die 32 Jahre lang gepflegten Beziehungen haben eine wohl geölte Maschine erzeugt. Die Militärhilfe für Kairo ist an Bedingungen geknüpft, von denen US-amerikanische Rüstungskonzerne profitieren. Denn mit einem Großteil der Gelder darf Ägypten nur Militärgüter aus den USA erwerben. Mehr als 500 ägyptische Offiziere kommen jährlich zu Kursen an US-Militärschulen. Umgekehrt halten sich über 600 Pentagonangestellte dauerhaft in Ägypten auf, vor allem, um den Fluss von Geldern und Waffen zwischen beiden Ländern und die Grenze zu Israel zu überwachen.
Die USA sind zudem das einzige Land, dem die ägyptischen Behörden im Suez-Kanal freien Zugang für das Militär gewähren. Die atomar bestückten USA-Kriegsschiffe erhalten Vorzugsrechte, die Luftwaffe der USA Überflugsrechte. Umgekehrt kann sich Ägypten, von den USA ausgestattet, seit Jahrzehnten als arabische Großmacht profilieren. In dieses Schema passte Ägypten seit »9/11« auch als Mosaikstein im »Antiterrorkrieg« der USA. Kairo diente als Drehscheibe für CIA-Folterflüge, mit Omar Suleiman als Mittelsmann. Und nicht zuletzt haben Dollars die ägyptischen Militärs mangels offenenem Krieg zum Wirtschaftsfaktor gemacht: vom Tourismus bis zur Waschmaschinenproduktion. Ob der transatlantische Miltär-Industrie-Komplex im Aufstand ein Thema wird, bleibt abzuwarten.
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