Ist eine Altersstaffelung zulässig oder gilt künftig »Gleicher Urlaub für alle«?

Urlaubsanspruch

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Die bislang in der Praxis üblichen Altersstaffelungen beim Urlaub können unzulässig sein. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf verwarf am 18. Januar 2011 die Urlaubsregelung im Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen als unzulässige Diskriminierung wegen des Alters (Az. 8 Sa 1274/10).

Diese Entscheidung ist bundesweit für den Einzelhandel mit seinen 2,9 Millionen Beschäftigten bedeutsam, weil es in anderen Regionen ähnliche Urlaubsregelungen gibt, die nunmehr auf dem Prüfstand stehen.

Die Gewerkschaft verdi und der Arbeitgeberverband HDE (Handelsverband Deutschland – der Einzelhandel) kündigten inzwischen an, bis zum Frühjahr eine rechtskonforme Lösung zu finden und den Tarifvertrag ändern zu wollen.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist aber noch nicht rechtskräftig, so dass der HDE erwägt, in die Revision zu gehen.

Der HDE verweist deshalb darauf: Junge Beschäftigte im Einzelhandel erhalten jetzt nicht mehr Urlaub. Die Arbeitnehmer könnten aber vorsorglich ihre höheren Urlaubsansprüche geltend machen, beispielsweise über ihre Gewerkschaft.

Der Hintergrund des vor dem LAG Düsseldorf verhandelten Falles: Die inzwischen 24-jährige Klägerin ist als Einzelhandelskauffrau bei einer Einzelhandelskette beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt dem Manteltarifvertrag des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen, wonach der jährliche Urlaubsanspruch bei einer Sechs-Tage-Woche nach dem Lebensalter gestaffelt ist.

Nach diesem Tarif bekommen Unter-20-Jährige 30 Urlaubstage im Jahr, danach 32 Tage, ab 23 Jahren 34 Tage und schließlich ab einem Alter von 30 Jahren 36 Urlaubstage. Die Klägerin sah sich angesichts dieser Altersstaffelung unzulässig benachteiligt und verlangte statt ihrer 34 ebenfalls 36 Urlaubstage im Jahr.

Das LAG Düsseldorf anerkannte wie die Vorinstanz, dass die Klägerin durch diese Regelung wegen ihres Alters diskriminiert werde, gab ihr Recht und sprach der Klägerin zwei weitere Urlaubstage zu. Die Altersstaffelung, so das Gericht, verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und zwingendes EU-Recht.

Es fehle an einem legitimen Ziel für diese Ungleichbehandlung, das im Tarifvertrag oder in dessen Kontext Anklang gefunden hätte. Dies gelte insbesondere für das von der Arbeitgeberseite vorgebrachte Argument, mit der Regelung solle die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden.

Eine Altersstaffelung im Urlaub gibt es im Übrigen auch in anderen Branchen, insbesondere im Öffentlichen Dienst, wo der Urlaub in noch deutlich größeren Schritten gestaffelt ist. Hier bekommen unter 30-Jährige 26 Tage, 30 bis 39-Jährige 29 Tage und über 40-Jährige 30 Arbeitstage im Jahr frei.

In einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom März 2010 wurde entschieden, dass diese Vorgaben im Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst in Ordnung seien. Als Begründung wurde aufgeführt: Weil die Belastbarkeit mit zunehmendem Alter abnehme, dürfe man beim Urlaub darauf Rücksicht nehmen, weshalb der Urlaubsanspruch jeweils nach dem 30. und 40. Lebensjahr ansteige. Auch die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ist noch nicht rechtskräftig. Sie liegt derzeit beim Bundesarbeitsgericht.

Arbeitsrechtler weisen darauf hin, dass es keine gesetzliche Grundlage für eine solche Differenzierung beim Urlaubsanspruch gibt. Es gibt auch keine nachvollziehbaren Gründe, warum Arbeitgeber ausgerechnet ab dem 30. Lebensjahr mehr Erholung brauchen. Viele von ihnen plädieren dafür, den Urlaub für alle Beschäftigten einheitlich festzulegen.

Mit dem Düsseldorfer wie auch dem Berliner Urteil bleibt offen, ob eine solche weitere und in höheres Alter reichende Staffelung beispielsweise mit dem Hinweis auf eine abnehmende Leistungsfähigkeit und mehr Erholung gerechtfertigt werden könnte. Ansonsten müssten die Tarifverträge im Einzelhandel und im Öffentlichen Dienst generell geändert werden – nach dem Motto: »Gleicher Urlaub für alle.« joh

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