Nur über riskante Eingriffe informieren
Ärztliche Aufklärungspflicht vom BGH begrenzt
Mit seinem Urteil hob der BGH eine Bewährungsstrafe eines Chefarztes wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf. Der Chirurg hatte bei einer 80-jährigen Patientin eine Darmoperation vorgenommen. Um eine Wundinfektion zu verhindern, hatte der Chefarzt einer Klinik in Wegberg (Nordrhein-Westfalen) nicht nur Antibiotika verabreicht, sondern auch unsterilen Zitronensaft in die Operationswunde gegeben. Der Saft wurde in der Stationsküche aus handelsüblicher Zitrone gepresst.
Nachdem bei der Frau eine massive Wundheilungsstörung aufgetreten war, operierte der Arzt seine Patientin erneut und wiederholte die Zitronensaftbehandlung. Über die Wundbehandlung mit dem Zitrusfruchtsaft wurde die 80-Jährige zu keinem Zeitpunkt informiert. Eine Einwilligung zu dieser Therapie lag damit nicht vor. Nach zwei Wochen starb die Patientin an Herz-Kreislauf-Versagen.
Das Landgericht Mönchengladbach wertete die Behandlung des Arztes als Körperverletzung mit Todesfolge und verurteilte ihn zu einer Bewährungsstrafe, weil er die Frau schon vor der ersten Operation über die Zitronensaftbehandlung hätte informieren müssen. Ob der Zitronensaft mitursächlich zum Tod geführt habe, konnte das Gericht nicht feststellen.
Der BGH entschied nunmehr zugunsten des Arztes. Dieser sei zumindest bei der ersten Operation nicht verpflichtet gewesen, die Patientin über die mögliche Zitronensaftbehandlung aufzuklären. Eine Aufklärungspflicht bestehe nur dann, wenn dem ärztlichen Eingriff »ein schwerwiegendes, die Lebensführung eines Patienten besonders belastendes Risiko anhaftet«. Dies war bei dem ersten Eingriff nicht der Fall. Erst bei Auftreten der Wundheilungsstörung hätte der Arzt um Einwilligung der Zitronensaftbehandlung bitten müssen. Damit habe sich der Angeklagte lediglich bei der Zweitoperation der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht.
Arzt haftet nur bei einem
ihm bekannten Risiko
u In einem am 17. November 2010 veröffentlichten Urteil entschied der Bundesgerichtshof: Ein Arzt muss vor einem medizinischen Eingriff nicht sämtliche, damit verbundene Gesundheitsrisiken kennen. Werden einzelne Risiken nur in anderen medizinischen Fachgebieten diskutiert, entfällt die Haftung des Arztes »mangels schuldhafter Pflichtverletzung«. Eine Aufklärungspflicht gegenüber den Patienten besteht in einem solchen Fall nicht, so entschied der BGH in seinem am 19. Oktober 2010 verkündeten Urteil (Az. VI ZR 241/09).
Die Klägerin hatte gegenüber einem Krankenhaus aus Brandenburg und einer Ärztin Schmerzensgeld gefordert. Die Frau hatte sich im Jahr 2003 einer Krampfadernoperation unterzogen. Nach der dabei durchgeführten Anästhesie bildeten sich Flüssigkeitsergüsse im Gehirn. Die Klägerin machte geltend, dass sie über das Risiko zuvor hätte aufgeklärt werden müssen.
Der BGH stellte klar, dass die Aufklärungspflicht grundsätzlich nur bestehe, wenn dem Arzt das Risiko des medizinischen Eingriffs hätte bekannt sein müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht eindeutig geklärt war, verwies der BGH das Verfahren an das Oberlandesgericht Brandenburg zurück. epd/ND
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