Fanal des Aufstands in Iran nur auf halber Flamme
Regierung in Teheran hat ihre bewaffneten Kräfte fest in der Hand
Ardeschir Amir-Arschomand, ein Vertrauter des vor zwei Jahren in einer umstrittenen Wahl unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi ist optimistisch: Die Aufstände in Tunesien und Ägypten waren nicht durch die islamische Revolution in Iran 1979 inspiriert, sondern durch die Protestbewegung von 2009. »Nun können wir von ihren Bewegungen lernen. Sie zeigen die Sehnsucht nach Demokratie in unserer Region«, meint Amir-Arschomand.
Kein Zweifel, ohne die erfolgreichen Aufstände in Tunesien und Ägypten hätte es am Montag keine Proteste in mindestens sechs iranischen Städten gegeben. Zumindest die Demonstration in Teheran war auch als Solidaritätskundgebung für die ägyptische Revolution angekündigt worden. Es war die erste Kundgebung der Opposition um die gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Mussawi und Mehdi Karrubi seit einem Jahr.
Damit ist allerdings die Frage noch keineswegs beantwortet, ob die iranische Opposition nun wieder eine Chance hat. Dass das Regime die Sache nicht auf die leichte Schulter nimmt, wurde durch die Reaktionen nur allzu deutlich. Die Nachrichtenagentur IRNA berichtete, iranische Parlamentarier hätten als Antwort auf die Proteste die Parole »Tod für Mussawi, Karrubi und Chatami!« ausgerufen. Es muss schon weit kommen, wenn man das routinierte »Tod für Israel!« oder »Tod für Amerika!« in dieser Weise austauscht. Schließlich waren alle drei einmal sehr hohe Repräsentanten der Islamischen Republik. Mussawi war Ministerpräsident zur Zeit Chomeinis, der Geistliche Karrubi Parlamentssprecher und Ajatollah Mohammed Chatami für acht Jahre Präsident. Bei seiner Wiederwahl 2001 kam er auf fast 80 Prozent der Stimmen.
Doch insgesamt offenbart der Ruf nach der Todesstrafe für die drei Symbolfiguren der iranischen Opposition auch die Hilflosigkeit des Regimes, denn der Protest hat sich gewandelt. Offenbar richtete er sich nicht mehr gegen Präsident Mahmud Ahmadinedschad, sondern gegen den Religiösen Führer Irans, Ali Chamenei. Dieser hat nach der iranischen Verfassung unbegrenzte Möglichkeiten, in die Politik einzugreifen. Er ist so etwas wie Verfassungsgericht, Überregierung und Befehlshaber der Armee in einem. Wer sich gegen ihn wendet, bekämpft das System der Islamischen Republik insgesamt. So weit gehen Chatami oder Mussawi nicht.
Mussawi hat schon vor langer Zeit zum Ausdruck gebracht, dass er sehr wohl weiß: Ein großer Teil der Opposition will weit mehr als ihre »Führer«. Das Problem der Machthaber in Teheran ist also, dass die Oppositionsbewegung sehr schwer zu fassen ist. Sie lässt sich notfalls nicht irgendwie einbinden und beruhigen, etwa indem nach Ahmadinedschad wieder ein freundlich lächelnder, etwas weltoffener aber machtloser Präsident wie Chatami kommt, der – wenn es hart auf hart geht – wegen Rückenschmerzen ins Bett muss.
Das alles heißt aber noch nicht, dass man die Protestbewegung nicht wieder unterdrücken kann. Genau hier weichen die Verhältnisse in Iran von denen in Tunesien und Ägypten ab. Sowohl dessen nunmehriger Expräsident Husni Mubarak als auch sein Pendant Zine al-Abidine Ben Ali aus Tunesien waren an Proteste nicht gewöhnt und schwankten zwischen Gewaltanwendung und Aussitzen. Vor allem konnten sie sich auf die Loyalität ihrer Armeen nicht absolut verlassen. Die Rückendeckung der USA brauchen Chamenei und Ahmadinedschad jedenfalls nicht, um an der Macht zu bleiben. Neben der Polizei können sie sich bei der Niederschlagung von Protesten auf die Basidsch-Miliz stützen, die sich aus verlässlichen Anhängern des Regimes rekrutiert. Auch wenn das nicht reichen sollte, müssen sie noch nicht auf die reguläre Armee zurückgreifen, sondern können auch die schwer bewaffneten Revolutionswächter (Pasdaran) einsetzen. Diese Truppen unterstehen direkt Chamenei, und an ihrer Loyalität besteht kein Zweifel.
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