Jemens Probleme nicht schicksalhaft
Sechster Tag der Proteste der Opposition
Es war bereits der sechste Tag in Folge, an dem in Sanaa gegen Präsident Ali Abdullah Saleh protestiert wird. Die Aktionen gehen von Studenten aus, denen sich bei ihrem Marsch durchs Stadtzentrum stets weitere Regimegegner anschließen. Proteste in Jemen gibt es aber nicht erst seit den Aufständen in Tunesien und Ägypten.
Atiaf al-Wazir, eine 27-jährige Internetaktivistin, sagte gegenüber ND, dass es am Dienstag in den Städten Aden und Taizz zu weitaus schlimmeren Gewaltanwendungen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten gekommen sei als in Sanaa. »In Aden fielen Schüsse, und in Taizz gab es 23 Verletzte. In diesen Städten gehen auch insgesamt mehr Menschen auf die Straße als in Sanaa. Am Dienstag waren es allein in Taizz 20 000, von denen 40 verhaftet wurden.«
In Sanaa sei der Durchschnittsbürger noch nicht Teil der Protestbewegung geworden, berichtet Atiaf al-Wazir. Dies bleibe bisher einem Teil der gebildeten Oberschicht, vorwiegend Studenten, vorbehalten. Seit Montag sehe man auch Rechtsanwälte in ihren schwarzen Roben. In Taizz dagegen handele es sich bei den Demonstranten um eine Graswurzelbewegung. Taizz verfügt zwar über eine Textilindustrie und Gerbereien, doch den Menschen in der Hauptstadt geht es im Durchschnitt etwas besser als der Bevölkerung in der Provinz. Vor allem der Süden des Landes, so behaupten Südjemeniten, profitiere weniger als der Norden an den Erdöleinnahmen.
Bei Gesprächen zwischen der Opposition und der Regierung sei bisher nichts herausgekommen, meint gegenüber ND Christoph Wilcke, der für Human Rights Watch die Lage in Jemen beobachtet. »Der nationale Dialog stockt. Zwar versprach Präsident Saleh der Opposition einen konstruktiven Dialog, ließ dieser Ankündigung aber bisher keine Taten folgen.«
Eine Vereinigung, die sich »Demokratischer Block« nennt, hat zu Beginn der Woche die parlamentarische Opposition als Schergen des Auslands verunglimpft, die nichts für das Wohl Jemens tun und nur politisches Kapital aus dem sogenannten nationalen Dialog und den Protesten auf der Straße zu schlagen versuchen, berichtete Wilcke. Auch südjemenitische Separatisten haben die parlamentarische Opposition scharf verurteilt, weil sie sich zu Gesprächen mit dem »Tyrannen und Diktator Saleh« hinreißen lasse.
Laut Wilcke kommt es in jüngster Zeit vermehrt zu schweren Repressionen gegen die Presse. »Journalisten verschwinden in Sanaa von den Straßen. Auch wenn die Regierung dies leugnet – der Staat ist allein dafür verantwortlich. Seit Mai 2009 gibt es in Sanaa einen Sondergerichtshof, der einzig und allein darauf ziele, Dissidenten mundtot zu machen. Auch sei ein Paragraf des Strafgesetzes, mit dem Journalisten verfolgt werden, sehr fragwürdig formuliert.
Deshalb kritisiert Wilcke die Haltung von Außenminister Guido Westerwelle und Entwicklungsminister Dirk Niebel, die sich bei ihren Besuchen nicht deutlich genug zu Menschenrechtsverletzungen äußern. »Sie reden nicht Tacheles, um den vom Regime verursachten Menschenrechtskatastrophen Einhalt zu gebieten. Doch ohne und nachhaltigen politischen Druck von außen wird es keine Veränderungen in Jemen geben.« Die Bundesregierung tue so, als ob Jemen ein armes, unterentwickeltes Land mit sich daraus zwangsläufig ergebenden Problemen sei. »Aber es gibt konkrete Kräfte hinter diesen Konflikten, die man abstellen kann, wenn der politische Wille da wäre«, ist Wilcke überzeugt.
ND-Karte: Wolfgang Wegener
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.