Die Revolution und ihre falschen Partner
Zögernd und verklemmt begrüßten USA und EU die Veränderungen in Nordafrika
Der Westen ist von der Revolution in Tunesien und Ägypten auf dem falschen Fuß erwischt worden. Die Regierungen der USA und der EU mussten sie begrüßen, das verlangte ihr eigener demokratischer Anspruch. Sie taten es auch, offensichtlich ohne schlechtes Gewissen, aber eher zögernd und verklemmt. Denn größer als ihre Freude war sogleich die Angst um die Stabilität dieser geostrategisch so wichtigen und labilen Region. 30 Jahre lang hatten sie die Diktaturen im Norden Afrikas mit Waffen und Geld gefüttert, damit sie die Öl- und Gasversorgung sicherten und Israels Kolonisierung der Palästinenser nicht störten. Sie hatten sich auf eine Herrschaftsschicht gestützt, die ein eisernes Dreieck von Politik, Wirtschaft und Militär bildete und eine rigorose Ausbeutung der eigenen Bevölkerung betrieb. Und diese neue Klasse von Großkapitalisten stützte sich wiederum auf ihre »Partner« im Ausland, die sie mit allem versorgten, was sie zur Sicherung und zum ungestörten Genuss ihres Reichtums brauchte. Wer hier je von Korruption der Regime sprach, weiß spätestens jetzt, wem er sie vorwerfen musste.
Fassadenkosmetik der Wendigen
Vier Tage hat es gedauert, um Tunesiens Ben Ali vom Thron zu holen, nach 18 Tagen gab schließlich Mubarak auf. Doch wird es gelingen, das System der Herrschaft zu stürzen? Wir sind weder im Jahr 1789 noch 1917 oder 1989. Der entscheidende unter vielen Unterschieden ist, dass dieses System nach wie vor eine feste Verankerung bei seinen alten »Partnern« in den USA und der EU hat. Und die sind schon wieder dabei, an dem System zu arbeiten, seine Fassade zu säubern und von innen zu stabilisieren. Da wird zwar die Partei des Ben Ali aus der »Sozialistischen Internationale« geworfen (was qualifizierte sie jemals für ihre Mitgliedschaft?), aber die Finanzierung der Hälfte des ägyptischen Militärbudgets durch die USA mit 1,3 Milliarden US-Dollar, mit denen auch Polizei und Geheimdienste bezahlt werden, ist nicht in Frage gestellt. Die ägyptische Verfassung ist zwar außer Kraft gesetzt, aber das Notstandsgesetz von 1958 und der Ausnahmezustand seit 1967, die die Verfassung schon weitgehend beseitigt haben, sind immer noch in Kraft. Das ägyptische Militär, immer loyal gegenüber seinem ehemaligen Präsidenten, hat sich zwar den Demonstranten gegenüber neutral verhalten, aber wird es die Macht an die zivile Opposition übergeben, wenn Omar Suleiman, Vizepräsident, Chef des Geheimdienstes, ein Mann des Militärs mit Ausbildung in der Sowjetunion und den USA und einer der schlimmsten Folterer, gemeinsam mit dem Hohen Militärrat tagt?
Was haben wir von der Wendigkeit des europäischen Beauftragten für den Nahen Osten, Tony Blair, zu halten, der in der vergangenen Woche noch Mubarak lobte, er sei »enorm mutig und eine Kraft für das Gute«, und nach dessen Rücktritt verkündete, dass dies »ein zentrales Moment für die Demokratie im Nahen Osten« sein könnte? Wikileaks hat jetzt einige Depeschen aus der US-Botschaft in Kairo von 2009 veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass die US-Regierung voll darüber im Klaren war, dass das Mubarak-Regime seine Herrschaft mit den Mitteln des Terrors sicherte. Die Botschaft berichtete nach Washington, »dass es buchstäblich Hunderte von Folteropfern pro Tag allein in den Polizeistationen Kairos gibt«. Sie zitierte »Dauerbefehle des Innenministers zwischen 2000 und 2006 an die Polizei, auf Richter zu schießen, sie zu schlagen und zu demütigen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu unterminieren«. Nichts spricht dafür, dass die britische Botschaft über solche Zustände nicht nach London berichtet hätte.
Eine Zumutung für die neue Gesellschaft
Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung (im Vorstand: Angela Merkel) muss eine Ahnung davon gehabt haben, wenn sie im November 2010 voraussagte, dass bei den bevorstehenden Wahlen »eine deutliche Schwächung der Präsenz der Muslimbrüder zu erwarten sei«, die »zum einen durch Manipulationen, Einschüchterungen und Wahlfälschungen«, zum anderen durch die »gesteuerte (…) Stärkung säkularer, untereinander zerstrittener Oppositionsparteien« erreicht werde. Zufrieden stellte sie damals fest, dass diese »ausbalancierte Opposition« »die Machtverhältnisse in Ägypten weder verändern noch in Frage stellen, sondern die Führungsrolle der Regierungspartei weiter festigen« werde. Im Februar dieses Jahres will sie nun den »Umbruch im Nahen Osten begleiten«, wie sich ihr jüngstes Thesenpapier »Zur politischen Zusammenarbeit mit den Ländern des Nahen Ostens/Nordafrika« nennt. Eine ihrer »10 Forderungen an die deutsche und europäische (Entwicklungs-)Politik« lautet: »Die Zusammenarbeit mit den Staaten des Nahen Ostens zur Eindämmung des Terrorismus ist fortzusetzen und mit der Arbeit zur Förderung rechtsstaatlicher Prinzipien und der Gewaltenteilung zu verknüpfen«. »Fortsetzen«? Was für eine Zumutung für die neue Gesellschaft. Soll sie mit denen zusammenarbeiten, die den Staatsterrorismus Mubaraks und Suleimans mit Waffen unterstützt haben?
Eine weitere Forderung verlangt: »Die EU und Deutschland sollen ihre Politiken der konditionalen Vergabe von Hilfsleistungen beibehalten…« Darunter versteht sie »euromediterrane privatwirtschaftliche Projekte und Public Private Partnership, die … gleichzeitig den Interessen Deutschlands und der EU dienen«. Diese Stiftung hat aus der Revolution, die sie ohnehin hasst, nichts gelernt. Der Grundton ihrer Stiftungsgesänge ist ein »Weiter wie bisher«. Keine Forderung nach Ausmisten des Augiasstalls an Korruption, Ausbeutung und schamloser Bereicherung, keine Forderung nach Konfiskation der geraubten Güter, der Auswechslung des schwerreichen Personals und seiner Anklage vor Gericht. Wieso auch, sie war doch selbst Pate dieser mafiosen Bande.
Mubaraks Vermögen auf den europäischen Banken wird von CNN auf 40 bis 75 Milliarden US-Dollar geschätzt, das Doppelte der aktuellen Devisenreserven Ägyptens von 34 Milliarden Dollar. Das Vermögen Ben Alis ist noch nicht überschaubar. Er hatte aber nur sechs Jahre weniger Zeit, sich und seinen Clan zu bereichern. Noch im November vergangenen Jahres hatte der Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung das Tunesien Ben Alis einen »ausgezeichneten Partner« genannt.
Man kann der neuen Gesellschaft nur raten: Hände weg von solchen alten Partnern, sie ziehen euch in den alten Sumpf zurück, wo derzeit 20 Prozent der Bevölkerung mit zwei Dollar pro Tag auskommen müssen. Vor den Flüchtlingen ziehen sie die Zugbrücken ihrer Festung hoch und sichern sie mit den Wachhunden der Frontex.
Die einzigen Stimmen, die offen ihr Missfallen über den Aufbruch der Demokratie bekunden, kommen aus der israelischen Regierung. Zu Recht, denn sie haben mit Mubarak einen verlässlichen Verbündeten ihrer Besatzungspolitik verloren. Verlässlich, weil er dafür bezahlt wurde. Wikileaks förderte eine weitere Depesche der US-Botschaft ans Licht, in der die 1,3 Milliarden Dollar US-Zuschuss für den ägyptischen Militärhaushalt als »unantastbare Kompensation« für Frieden mit Israel bezeichnet wurden. Es gab eine fast tägliche Abstimmung zwischen den Geheimdiensten der Nachbarn und eine gemeinsame Devise in der Behandlung Gazas: »Hungern aber nicht verhungern lassen«. Um die einzige Verbindung der gefangenen Bevölkerung zur Außenwelt, die Tunnel, auch noch zu verschließen, hatte Ägypten 2009 begonnen, eine 11 Kilometer lange und 18 Meter tiefe Stahlmauer abzusenken. Diese Kollaboration, so hoffen die Palästinenser, gehört der Vergangenheit an. Wenn selbst ein Liberaler, Ayman Nour, der Vorsitzende der el-Ghad-Partei, die im Network of Arab Liberals engste Beziehungen zur Friedrich-Nauman-Stiftung hat, fordert, dass der Friedensvertrag von 1979 neu verhandelt werden müsse, dann weiß auch Jerusalem, dass eine neue Zeit angebrochen ist.
Israel hat seine beiden einzigen Friedensverträge mit Diktatoren geschlossen, Anwar Al-Sadat und König Hussein. Die »einzige Demokratie« im Nahen Osten kann sich offensichtlich nur mit Diktaturen arrangieren, was über den Zustand dieser Demokratie nichts Gutes aussagt. Die Verachtung, die die politische Klasse in Israel für die arabischen Volksmassen übrig hat, ist bekannt. Sie hält sie nicht für demokratiefähig und bemerkt den Balken im eigenen Auge nicht. »Ist das Demokratie, wenn man politische Gegner von den Dächern Gazas in den Tod stürzt, ihnen in die Knie schießt und Frauen hinrichtet? Nein, das ist das Ergebnis eines amerikanischen Missverständnisses, das Wahlen heiligt und die Risiken ihrer Resultate ignoriert«, wird Dov Weinglass, ehemaliger Bürochef von Ariel Scharon, zitiert. Er hat den Goldstone-Bericht nicht gelesen und kommt nicht auf den Gedanken, diese Frage an die eigene Armee zu stellen. Für ihn sind Wahlen ein korrigierbares Risiko, weswegen Israel die Wahlen in Gaza von 2006 faktisch annulliert hat. Er wird Zippi Livni zustimmen, die die Ägypter davor warnt, die Muslimbrüder an der Wahl zu beteiligen. Er wird auch dem scheidenden israelischen Generalstabschef Gabi Ashkenasi zustimmen, der Israel rät, sich auf einen Mehrfrontenkrieg vorzubereiten.
Angst vor Demokratie bei den Nachbarn
Nichts in dieser arabischen Revolution deutet darauf hin, dass Israel von dem neuen Ägypten angegriffen wird. Und dennoch bereitet sich die israelische Führung auf einen nächsten Krieg vor, den sie allenfalls wieder selbst beginnen wird. Die Unfähigkeit, auf eine demokratische Bewegung mit demokratischen Angeboten zu antworten, zeigt, wie weit die Besatzungspolitik und ihre militärischen Exzesse bereits die eigene Demokratie zersetzt haben. Sie zeigt, wie notwendig es ist, dass sich die Revolution nicht nur auf die arabischen Nachbarn ausdehnt, sondern auch auf Israel.
Die ganze Misere Israels, seine Angst vor der Demokratie bei den Nachbarn, rührt aus dem Anachronismus des zionistischen Wahns und seiner kolonialen Besatzungspolitik. Er treibt das Land immer wieder in kriegerische Abenteuer, befreit es aber nicht aus seinem Käfig. So überraschend die arabische Revolution, so logisch ist sie bei näherer Betrachtung. Logisch wäre sie auch in Israel und darauf sollten sich die Freunde im Westen konzentrieren.
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