Auf Kuschelkurs mit der Industrie
Lobbywächter werfen Vorstand der EU-Lebensmittelbehörde Schutz von Wirtschaftsinteressen vor
Eigentlich soll sie die Verbraucher schützen, vor allzu rücksichtslosen Vorstößen der Lebensmittelindustrie – vor Genmanipulation oder Giften in der Nahrung. Doch erneut besteht Anlass zur Vermutung, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schütze vor allem Industrieinteressen. Am Mittwoch veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) eine Studie, nach der vier Mitglieder des Verwaltungsrates gleichzeitig Industrieinteressen vertreten. Dazu gehört der Deutsche Matthias Horst, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, der seit über 35 Jahren für die Branche tätig ist.
Die EFSA wurde 2002 nach einer Reihe von Lebensmittelskandalen eingerichtet, um »als unabhängige wissenschaftliche Beratung zu Fragen der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit« zu dienen, wie es auf der Internetseite heißt. Dort wird betont, die 15 Vorstandsmitglieder seien beauftragt, im öffentlichen Interesse zu handeln, und repräsentierten »in keiner Weise« eine Regierung, Organisation oder Branche. In einer Stellungnahme zu den Vorwürfen verwies die Behörde am Donnerstag darauf, dass Vorstandsmitglieder mit Expertenwissen aus der Industrie ausdrücklich erwünscht seien und das Leitungsgremium keinen Einfluss auf die wissenschaftlichen Empfehlungen der EFSA habe.
Die Initiative LobbyControl bezweifelt das. Die Vorstandmitglieder »bestimmen sowohl die Ausrichtung der EFSA als auch die Mitglieder der wissenschaftlichen Gremien – die wiederum Gutachten abgeben, zum Beispiel über die Risiken bestimmter Lebensmittel«, so Nina Katzemich von LobbyControl gegenüber ND. »Im Moment ist die EFSA keine Behörde, bei der der Verbraucherschutz gut aufgehoben ist.«
Die EU-Kommission müsse die Behörde »völlig neu strukturieren und die Verflechtungen mit der Industrie unterbinden«. Das betreffe nicht nur den Verwaltungsrat, sondern auch die wissenschaftlichen Gremien. Katzemich kritisierte, dass die Kommission bisher nur »scheibchenweise« vorgegangen sei, wenn der öffentliche Druck groß wurde, jedoch keine grundsätzliche Überprüfung der Kontrollbehörde vorgenommen habe.
Erst im vergangenen Herbst hatte LobbyControl mit seinem europäischen Netzwerk ALTER-EU auf Missstände bei der EFSA aufmerksam gemacht. Daraufhin musste die damalige Verwaltungsratsvorsitzende Diána Bánáti zurücktreten, weil sie gleichzeitig einen Posten bei dem von der Lebensmittelindustrie finanzierten International Life Science Institute (ILSI) innehatte. Die aktuelle Studie zeigt, dass noch immer ein Vorstandsmitglied der EFSA zugleich bei ILSI tätig ist.
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