Auch Bahrainer schnuppern »an der Luft der Freiheit«

Begnadigung von Gefangenen befriedigt die Protestbewegung nicht

  • Martin Lejeune
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch im Golfstaat Bahrain dauern Proteste gegen die Regierung und das Herrscherhaus an. Am Mittwoch waren Hunderte Oppositionelle aus der Haft freigelassen worden, um die aufgebrachten Demonstranten zu beruhigen. Die Proteste – heißt es – werden vor allem von unzufriedenen Schiiten getragen, die rund zwei Drittel der Bahrainer stellen, während die Herrschenden sunnitisch sind.

»Ich sitze gerade in einem Restaurant mit meiner Freundin. Sie ist Sunnitin und ich bin Schiit«, berichtet Taher al-Abbood am Telefon. »Ich erzähle dir das, damit du nicht denkst, Schiiten und Sunniten würden einander hassen.« Taher al-Abbood ist 21 und hat einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre. Er lebt in Amar im Süden Bahrains und gehört einer Jugendbewegung an, die sich wie selbstverständlich den Protesten in seinem Land anschließt.

»Ich habe Angst, dass die Herrschenden versuchen, die Proteste in eine falsche Richtung zu lenken, so wie in Libyen«, bekennt der Marketingspezialist. Ähnlichkeiten mit den Verhältnissen in Libyen sieht Al-Abbood vor allem in der Zusammensetzung von Armee und Polizei: »Das sind keine nationalen Kräfte wie in Ägypten. Es sind bezahlte Söldner aus Pakistan, Jemen, Sudan, Syrien. Die größte Gruppe, die Pakistaner, sprechen noch nicht einmal unsere Sprache. Fremde Söldner haben nun einmal nicht diese enge Beziehung zu Protestlern wie Landsleute in Uniform.« Und er ist sicher, dass auch in Bahrain die Herrscherfamilie ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen würde: »Sie ist eine Minderheit, sie haben Angst, dass es ihnen nach einem Sturz an den Kragen geht. Sie werden ihre Macht nicht ohne Blutvergießen abgeben. Daran habe ich keinen Zweifel.«

Seit dem Beginn der Proteste am 14. Februar seien zehn Menschen durch die Sicherheitskräfte getötet worden, berichtet Maryam al-Khawaja, Aktivistin des Zentrums für Menschenrechte in der Hauptstadt Manama. »Aber die Protestmärsche werden immer größer. Zuletzt kamen Zehntausende, und das bei einer Bevölkerung von gerade einmal einer Million.« Maryam hält die Lage für explosiv: »Bahrain gleicht einem Haus voller Gas, und du hoffst, dass es niemand anzündet, denn dann fängt es richtig an zu brennen.« Zugleich sei sie glücklich, diesen »historischen Moment« erleben zu können.

Matar Ibrahim Ali Matar, der am 18. Februar aus Protest von seinem Mandat zurückgetretene Parlamentsabgeordnete der islamischen Gemeinschaft Jamiyat al-Wifaq al-Watani al-Islamiyah, befürchtet ebenfalls eine Zuspitzung: »Das Regime verwendet seine Kraft darauf, Zwist zu säen zwischen Schiiten und Sunniten, um die Lage aufzuheizen.«

Auf dem Perlenplatz forderten die Demonstranten anfangs noch politische Reformen, beispielsweise die Direktwahl des Premierministers, der bisher vom König ernannt wird. »Doch nun fordern sie offen den Fall des Regimes und die Abdankung des Königs«, berichtet Matar. Auslöser des Umschwungs war die brutale Gewalt gegen friedlich Protestierende. »Nun wollen wir keine Verhandlungen, keinen Dialog mehr mit dem Regime, sondern dessen Fall.« Matar appelliert an die Herrscherfamilie, endlich auf die Bevölkerung zu hören. Und der Geheimdienst müsse aufhören, die Protestbewegung als gewalttätig zu diskreditieren. Deren Empörung werde sich auch dadurch nicht besänftigen lassen, dass man ihr – wie am Mittwoch in Saudi-Arabien – Geldgeschenke statt politischer Reformen verspreche: »Dafür haben die Bahrainis in den letzten Tagen schon zu sehr an der Luft der Freiheit geschnuppert.«

Freie Luft schnupperten erstmals auch wieder 23 schiitische Aktivisten, die wegen angeblicher Putschpläne angeklagt waren, und weitere politische Gefangene, die König Hamad ibn Issa al-Chalifa am Mittwoch unter dem Druck der Protestbewegung begnadigte. Doch Maryam al-Khawaja kritisiert: »Dieser Gnadenakt reicht uns nicht. Wir wollen komplette politische Freiheit und keine Gnade.«

Unter den Begnadigten ist auch einer der Anführer der radikalen schiitischen Gruppe Hak, Abdeldschalil al-Singace. Er leitete vor seiner Verhaftung die Abteilung Menschen- und Bürgerrechte in der Hak-Bewegung. Am Telefon berichtet al-Singace: »Ich bin in der Nacht von Dienstag zu Mittwoch um drei Uhr morgens freigelassen worden.« Am 30. August 2010 festgenommen, wurde Singace nach eigenen Angaben bei Verhören in den ersten 45 Tagen seiner Haft auch gefoltert. Nicht nur habe er unter Schlafentzug gelitten und ohne seine Brille auskommen müssen: »Das schlimmste war, dass ich in der ersten Woche nach meiner Verhaftung gezwungen wurde zu stehen. Wenn ich hinfiel, weil mir die Kraft ausging, wurde ich auf den Kopf geschlagen«, erzählt er. »Mein linkes Bein ist seit meiner Kindheit gelähmt, ohne Krücken kann ich nicht gehen. Aber die Krücken wurden mir im Gefängnis weggenommen.« Vernehmungsbeamte hätten gedroht, sich an seiner Familie zu vergehen.

»In so einem Land befindet sich einer der wichtigsten Stützpunkte der US-Marine, und die Formel 1 hat in den vergangenen fünf Jahren ihre Champagnerkorken knallen lassen«, kommentiert die Menschenrechtsaktivistin Maryam al-Khawaja. Abdeldschalil al-Singace möchte mit dem Anrufer aus Deutschland aber nicht nur über die dunkle Zeit im Gefängnis sprechen. »Das Volk Bahrains dankt allen Menschen in Deutschland und Europa, die die Protestbewegung in unserem Land und unseren Kampf für Menschenrechte unterstützen«, sagt er.

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