»Schlag ins Gesicht«

Aktivistin Brigitte Vallenthin über eine Hartz-IV-Reform, die keine ist / Brigitte Vallenthin ist Gründerin der »Hartz4-Plattform«. Kürzlich ist ihr Buch »Ich bin dann mal Hartz IV« erschienen

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Wie wird das Ergebnis der Hartz-IV-Verhandlungen bei den Betroffenen aufgenommen?
Vallenthin: Es wird als Schlag ins Gesicht wahrgenommen. Die Erhöhung um fünf Euro gleicht nicht einmal die Teuerungsrate aus. Die Missachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist offenkundig. Das Gericht hatte eine transparente Berechnung angemahnt. Nun soll es in diesem Jahr ein Häppchen beim Existenzminimum geben und im nächsten Jahr noch einmal ein Häppchen verteilt werden. Das ist absurd, denn wenn die fünf Euro nicht dem Existenzminimum entsprechen, muss die Erhöhung sofort erfolgen.

Wie beurteilen Sie die Rolle der SPD bei den Verhandlungen?
Wir haben die Rückkehr der Agenda-2010-SPD erlebt. Es ist sicher kein Zufall, dass das Ergebnis der Verhandlungen erst nach der Hamburg-Wahl bekannt gegeben wurde, wo mit Olaf Scholz ein erklärter Hartz-IV-Befürworter gewonnen hat. Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss werden von einem großen Teil der Betroffenen als Täuschungsmanöver wahrgenommen. Es ging nicht um ihre Interessen, sondern um parteipolitisches Kalkül.

Sie kritisieren in Ihrem Buch, dass Hartz IV zu sehr auf den finanziellen Aspekt reduziert wird. War die Debatte dann nicht ohnehin ganz falsch angelegt?
Der Regelsatz ist wichtig. Durch die Fokussierung auf die finanzielle Seite wird allerdings oft nicht genug erwähnt, welche weiteren Verschlechterungen auf die Betroffenen zukommen.

Können Sie einige Beispiele nennen?
Bisher musste das Amt den Betroffenen vor Sanktionen eine rechtsmittelfähige schriftliche Ankündigung machen. In Zukunft soll es ausreichen, wenn der Sachbearbeiter behauptet, der Erwerbslose habe von den Sanktionen Kenntnis.

Eine weitere Verschlechterung ist die Pauschalierung der Kosten für die Unterkunft durch die Kommunen. Sie können künftig einen bestimmten Betrag für die Miet- und Heizkosten festlegen. Den Rest muss der Erwerbslose von seinem Regelsatz zahlen. Es ist zu befürchten, dass die klammen Kommunen die Summe nach Kassenlage bestimmen werden. Verbände warnen schon jetzt vor steigender Obdachlosigkeit von Erwerbslosen.

War es nicht ohnehin illusorisch, von einem Richterspruch Verbesserungen für Erwerbslose zu erwarten?
Es ist immer trügerisch, zu viele Hoffnungen in den Staat und in die Gerichte zu setzen. Doch der Gang nach Karlsruhe hat den Erwerbslosen mehr Öffentlichkeit gebracht. Es gab eine kurze Zeit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wo nicht nur Propaganda durch den Blätterwald rauschte. Es wurde auch über die tatsächliche Situation der Betroffenen geredet. Deswegen werden wir von der Hartz4-Plattform nach Inkrafttreten des Gesetzes erneut den Rechtsweg beschreiten, ohne uns Illusionen über die Gerichte zu machen.

Zeigt die Orientierung vieler Erwerbsloser an den Gerichten nicht auch eine Schwäche der Erwerbslosenbewegung?
Dass die Betroffenen schwer zu mobilisieren sind, liegt unter anderem daran, dass ihnen das Geld fehlt, um zu Demonstrationen zu fahren. Außerdem hat das Hartz-IV-Regime nicht nur eine finanzielle Seite. Das muss man immer wieder betonen. Die damit verbundenen Schikanen und Demütigungen setzen viele Betroffene psychisch so unter Druck, dass sie nicht mehr die Kraft zu Protesten haben.

Fragen: Peter Nowak

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