Erschienen: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte
»Man mag es auf den ersten Blick übersehen, aber gerade all diese Erleichterungen des computerisierten Arbeitens kehren in universitären Plagiatsdebatten als Verdachtsmomente wieder, denn der Verfall des wissenschaftlichen Ethos beginnt nicht erst bei jenem Vorgang, der allgemein unter ›Copy/Paste‹ geführt wird – er endet dort. So zeigt sich auf eigenartige Weise, dass die Reflexionen, die um die Digitalisierung des Schreibens kreisen, sich in vielen Punkten analog zu jenen Reflexionen verhalten, denen wir im Umfeld des Buchdrucks begegnet sind. Wir erinnern uns: Dort, insbesondere bei Luther, hatte sich der Plagiatsbegriff sehr eng mit dem Begriff der ›Arbeit‹ zusammengeschlossen. Zum Plagiator wurde infolgedessen derjenige, der andere für sich arbeiten ließ, sich Handschriften stahl, die sich mitunter noch im Arbeitsprozess befanden, und diese eben nicht von Hand kopierte (was ja wiederum ›Arbeit‹ gewesen wäre), sondern drucken ließ. Im Stigma des Netzplagiators erfährt dieses Argument nun auf einmal eine unerwartete Aktualisierung. [...] Den vernetzten Texträuber trifft [...] die volle Härte und Verachtung protestantischer Wissenschaftskultur: Nichts an seinem Erzeugnis trägt menschliche Spuren. [...] Der digital produzierende Plagiator muss [...] prinzipiell überhaupt nichts von dem verstehen, was er kopieren lässt, und deswegen – auch das ist ganz lutherische Logik – wird er auch der Wahrheiten, mit denen er hausieren geht, niemals teilhaftig.«
Aus Philipp Theisohn: Plagiat. Eine unoriginelle Literaturgeschichte. Kröner Verlag, 2009.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.