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Lohn, Preis und Profit
Das Leben wird teurer. Tomaten kosten die Hälfte mehr. Gurken, Kartoffeln und Zwiebeln verteuerten sich um bis zu 30 Prozent. An den Zapfsäulen liegt der Preis für den Liter Benzin schon wieder über 1,50 Euro. Die heimischen Verbraucherpreise stiegen zuletzt um 1,9 Prozent. Seitdem spukt das Inflationsgespenst.
Die Inflationsängste sind jedoch unbegründet. Der jüngste Preisschub geht ausschließlich auf steigende Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise sowie einen schwachen Euro zurück. Das hilft zwar Geringverdienern, Arbeitslosen, Studenten und vielen Rentnern wenig. Schließlich müssen sie einen Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Die importierten Preissteigerungen lassen aber die Preise nicht auf breiter Front galoppieren.
Trotz Wachstum XXL produziert die deutsche Wirtschaft noch lange nicht an ihren Kapazitätsgrenzen. Auch Vollbeschäftigung ist nicht in Sicht. Wo Güter und Arbeit nicht knapp sind, steigen auch nicht die Preise. Zudem wird dem Aufschwung im zweiten Halbjahr etwas die Puste ausgehen. Die Konjunkturlage spricht dafür, dass der Preisdruck in den nächsten Monaten eher sinkt als steigt.
Kräftige Tariflohnsteigerungen werden daran wenig ändern. Leider kommt das, was Gewerkschaften heute aushandeln, schon lange nicht mehr bei allen Beschäftigten an. Tarifflucht und Billiglöhne bremsen die allgemeine Lohnentwicklung. Es ist kein Zufall, dass im letzten Jahrzehnt in keinem europäischen Land die Löhne so schwach gestiegen sind wie in Deutschland.
Doch selbst unterstellt, die Gewerkschaften könnten den Löhnen Beine machen – dies bedeutet noch lange nicht, dass die Preise automatisch steigen. Die Lohn-Preis-Spirale ist ein ökonomisches Märchen. In einer Marktwirtschaft entscheiden noch immer die Unternehmer darüber, ob sie ihre Preise anheben. Es gibt keinen Zwang, steigende Arbeitskosten auf die Preise abzuwälzen. Durch Preissteigerungen sichern die Unternehmen lediglich ihre Gewinnspannen. Aktuell sprudeln die Firmengewinne wieder. Seit der Jahrtausendwende stiegen die Gewinn- und Vermögenseinkommen um stolze 60 Prozent. Statt die Preise, in Reaktion auf steigende Arbeitskosten, anzuheben, können die Unternehmen auch geringere Gewinnmargen in Kauf nehmen oder ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern.
Darüber hinaus sind höhere Erzeugerpreise auch häufig Ausdruck von Marktmacht. Dort, wo der Wettbewerb nicht funktioniert, können die Unternehmensleitungen ihre Preisvorstellungen und Verteilungsansprüche durchsetzen. Die Energie- und Nahrungsmittelmärkte sind nur die bekanntesten Beispiele. Hier müssten Politik, Kartellamt und Regulierungsbehörden aktiv werden, um die Monopolprofite einzelner Unternehmensgruppen abzuschöpfen. Die ordnungspolitischen Sonntagsreden von Brüderle, Westerwelle & Co. und ihre Realpolitik klaffen jedoch weit auseinander.
Dass das Leben in den letzten Monaten teurer wurde, ist für Gewerkschaften kein Grund, sich in den anstehenden Tarifrunden zurückzuhalten. Mittel- bis langfristig drohen keine Inflationsgefahren. Bescheidenheit ist jetzt lediglich bei den Unternehmen angesagt. Niedrigere Gewinnansprüche drosseln den Anstieg der Güterpreise. Lohnzurückhaltung ist kein Inflationsschutz, sondern Futter für die Gewinne.
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