Balanceakt eines Ministers
Indien: Jairam Ramesh bei Entscheidungen zwischen Baum und Borke
Der 56-Jährige beschrieb vorige Woche in einem Interview für die »Hindustan Times« seine Lage als halsbrecherischen »Balanceakt zwischen Wachstum und Umweltschutz«. Kritikern sagt er: »Ich kann in diesem Job weder rein auf Wachstum orientiert handeln, noch ein reiner Umweltschützer sein.« Das Bergbau- und das Stahlministerium verlangen von ihm, bis zum 15. März über ihre Vorschläge zu Erschließungsarbeiten in Urwaldgebieten zu entscheiden. Doch nach Angaben des Umweltministeriums liegt ein Viertel der neun vorgesehenen Kohlefördergebiete in Schutzgebieten, wo keine Abbaugenehmigung erteilt werden darf.
Damit bleibt Jairam Ramesh in den Schlagzeilen. Trotz aller Kompromisse gilt er als bislang »grünster« Umweltminister Indiens. Er eckt seit seinem Amtsantritt im Mai 2009 immer wieder an. Bis dahin wurden Umweltschutzgesetze nur mangelhaft umgesetzt. Unter Ramesh begann sich das zu ändern. Ein paar Beispiele: Im Januar ordnete er den Abriss eines 31-stöckigen Wohnhauses im von Grundstückshaien begehrten Colaba-Areal von Mumbai (einst Bombay) an. Die Eigentümer hatten es ohne Genehmigung der Umweltbehörde und unter Missachtung der Küstenschutzvorschriften bauen lassen. Der Minister sagte nein zu einem gigantischen Bergbauvorhaben des britisch-indischen Unternehmens Vedanta im Unionsstaat Orissa, weil dort neben Waldgebieten auch der Lebensraum indigener Adivasi-Stämme zerstört worden wäre. Auch ein 12-Milliarden-Dollar Projekt des südkoreanischen Konzerns Posco in Orissa ließ Ramesh überprüfen. Gemeinsam mit dem Nachbarn Bangladesch will er das einzigartige Ökosystem der Sundarbans schützen.
Als einziges Entwicklungsland veröffentlichte Indien auf Rameshs Initiative Daten zu CO2- und Schadstoffemissionen. Sie belegt, dass in dem Riesenland von 1994 bis 2007 der Ausstoß von Treibhausgasen um 58 Prozent zunahm und Indien zu den weltweit fünf größten Umweltverschmutzern gehört. Gleichzeitig prangert der Minister die verschwenderische Lebensart westlicher Gesellschaften an, die er selber beim Studium in den USA am Massachusetts Institute of Technology erlebte.
So mancher in Indien sieht in ihm einen Wachstumsverhinderer, der allen in den Rücken falle, die gegen die Massenarmut kämpfen. Ein Ministerkollege erklärte in Delhi auf der Konferenz »Global Steel 2011«, Verzögerungen bei Großprojekten wie Posco hätten Investoren vor den Kopf gestoßen.
Jairam Ramesh verteidigt seinen Kurs mit stichhaltigen Argumenten. Investoren würden es doch begrüßen, wenn Indien seine Gesetze ernst nimmt. Das sei ein stabilisierendes, die Entwicklung förderndes Element. Außerdem hätten auch die Millionen Ureinwohner ein Recht auf ihren Lebensraum. Und von einer intakten Umwelt würden alle Bürger profitieren. Bei der Einführung eines hunderttausende Bäume rettenden Projekts umweltfreundlicher Krematorien meinte er dieser Tage sarkastisch: »Es gibt viele, die mich als ersten Kandidaten für ein solches Krematorium erhoffen.« Jährlich werden 50 bis 60 Millionen Bäume nur für die Leichenverbrennung in Indien gefällt.
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