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So schnell

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 4 Min.
Flattersatz – So schnell

Alice Primelmann aus der Falkenberger hat sich für ihre 73 Jahre recht gut gehalten. Neulich hat der Doktor ihr ein charmantes Kompliment gemacht und gesagt: »Frau Primelmann, Sie haben ein Herz wie eine 30-Jährige.« Da hat sie (behauptet sie) geantwortet: »Ein Hintern wie eine 30-Jährige wäre mir lieber.«

Diesen Witz kennen inzwischen fast alle in der Falkenberger, weil ihn Alice jedem erzählt. Wenn sie in der Kaufhalle an der Kasse ansteht, verdreht die Kassiererin die Augen – jetzt kommt die Alte wieder mit ihrem Hinternwitz! Dann geht Alice nach nebenan in die Änderungsschneiderei und erzählt den Witz schon wieder.

Vorige Woche haben Nachbarn den Horst angesprochen – Alices Sohn, der einmal in der Woche nach ihr schaut. Er solle sich mal um seine Mutter kümmern, haben sie gesagt, weil die schon immer den selben Witz erzählt. Und die Frau Sobottke, die früher bei der KWV Badewannen verschoben hat, sagte: »Wenn Ihre Frau Mutter so weitermacht, geht es mal aber so was von schnell mit ihr!« Der Horst hat daraufhin seine Mutter ernsthaft verwarnt. »Denk an Gaddafi!«, hat er zu ihr gesagt, »bei dem hat’s auch so angefangen.«

Alice erschrak. Im Fernsehen hatte sie gehört, der Gaddafi sei von einem Tag auf den anderen verrückt geworden. Und nicht nur der – der Ägypter gleich mit! Den hatten sie sogar schon nach Heidelberg in die Klapse eingeladen. So schnell kann's gehen in diesem Alter. Als der Gaddafi mit einem geöffneten Regenschirm im Auto saß, war klar, dass er eine Meise hat. Alice durchfährt es siedendheiß: War sie nicht neulich, als es regnete, mit geöffnetem Regenschirm in der Kaufhalle bis zum Kaffeeregal vorgedrungen? Hatte da nicht ein Mann zu ihr gesagt: »Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mir nicht ihren doofen Witz erzählen, Frau Primelmann, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass es hier drinnen nicht regnet.«

Gaddafi war bisher sehr beliebt gewesen. Bei Westerwelle, bei dem flotten Silvio und dem kleinen Franzosen. Sie haben ihn sogar umarmt, obwohl er sich kamelfarbene Betttücher um den Bauch geschlungen hatte und obwohl er die Schweiz bombardieren und Millionen Schwarze nach Baden-Baden schicken wollte. Solche Eskapaden hat sich Alice nie geleistet. Dass sie jetzt in den Sog der arabischen Revolution gerät, hat sie nicht verdient!

Alice Primelmann ist nicht mehr vom Fernseher wegzukriegen. Wenn es sie schon erwischt hat, will sie alles über die verdammte Krankheit wissen, die sie und Gaddafi vereint. Neulich hat sie gehört, dass der Herrscher schon früher einmal total verrückt war, bevor er wieder ein Stück weit normal wurde. Ronald Reagan soll über ihn gesagt haben:»Der ist doch verrückt!« Dann stellte sich aber heraus, dass der nicht mehr wusste, wie man eine Türklinke bedient und die Tür immer mit den Fingernägeln öffnen wollte und ein und den selben Witz immer wieder erzählte. Das hat er übrigens mit Boris Jelzin gemeinsam gehabt, der nüchtern gar nicht mehr sprach und mit dem es auch so was von schnell ging. Und Erich Mielke, der um die Ecke von Alice wohnte und dessen Frau sie manchmal im Backshop traf, hat nur einen Witz gemacht – und den kannten dann auch alle: »Ich liebe euch alle.«

Mielke hatte außerdem eine Hütchen-Macke (»Mit Hut ist es besser«). Alice setzt ihren Hut – einen rostfarbenen mit rosa Patte – vorsorglich schon gar nicht mehr auf. Gestern hat sie in den Nachrichten gehört, Gaddafis Konten würden eingefroren. Und die von dem verrückt gewordenen Ägypter auch. Als Horst heute Nachmittag kam, um nach ihr zu sehen, hat sie ihn mit den Worten empfangen: »Horst, ich glaube mein Geld wird vereist.« Horst konnte Alice beruhigen und sie plauderte wie immer. Doch als sie Kaffee tranken sagte sie plötzlich: »Horst, kürzlich war ich beim Doktor, und weißt du, was der gesagt hat? Frau Primelmann, hat der ...«

»M u t t e r!!«, schrie Horst. Und dachte: So schnell kann’s gehen.

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