Die tödliche Seite der Mode-Jeans
Einsatz der Sandstrahltechnik kann Textilarbeiter krank machen
Adulhalim Demir stammt aus dem kleinen Dorf Taslicay in der östlichen Türkei. Wie viele andere ging er vor Jahren auf der Suche nach Arbeit nach Istanbul und landete dort in einer der unzähligen Textilfirmen. Anfangs schlief er in der Abteilung, wo Kleidung sandbestrahlt wurde, später arbeitete er selbst an der Sandspritze. Die Fabrik produzierte für die US-Designermarke Tommy Hilfiger. Dass ihn die Arbeit krankgemacht hat, erfuhr Demir nur durch einen Zufall. Beim Militär konnte der Rekrut schlicht nicht rennen – Atemnot. Daher begannen die Ärzte den Mann unter die Lupe zu nehmen und schließlich lautete die Diagnose: Silikose, besser bekannt als Staublunge. Unter dieser Krankheit leiden meist Bergarbeiter, die etliche Jahren im Flöz malocht haben. Am Sandschlauch, aus dem der extrem quarzhaltige Sand unter Hochdruck auf die Textilien geschossen wird, damit Jeans dem Vintage-Look entsprechen, reichen oft schon ein paar Monate für die verheerende Diagnose.
»Unverantwortlich ist die Technik, denn die Arbeiter in Herstellerländern wie der Türkei, Bangladesch, China, Mexiko oder Pakistan ruinieren ihre Lungen«, kritisiert Julia Thimm von Inkota. Das Netzwerk entwicklungspolitischer Basisgruppen gehört der »Kampagne für Saubere Kleidung« an, die es sich zum Ziel gesetzt hat, weltweit die Sandstrahltechnik zu stoppen. »Schon einige Wochen an der Sandkanone reichen, um die Arbeiter an der Staublunge erkranken zu lassen. Dies ist unheilbar, allein in der Türkei sind vier- bis fünftausend Arbeiter erkrankt und 46 gestorben«, so die Textilexpertin von Inkota.
Die türkische Regierung entschloss sich vor knapp zwei Jahren, das Sandbestrahlen von Jeans zu verbieten. Doch in anderen Ländern ist dies bislang noch nicht geschehen. Daher sind nach Informationen der »Kampagne für Saubere Kleidung« Aufträge von der Türkei nach Syrien und Ägypten gegangen. Auch in Bangladesch, China oder Argentinien kommt die Technik weiter zum Einsatz. »In vielen Ländern sind die Risiken den Arbeitern noch gar nicht bekannt«, erklärt Julia Thimm, die Ende November in der Türkei an einer Konferenz zum Thema teilnahm. Dort hat Engin Sedat Kaya von der türkischen Gewerkschaft für Textilarbeiter (TEKSIF) die Delegierten aus gut 50 Ländern über die unbekannte Seite der Technik aufgeklärt. Sedat Kaya gehört dem »Solidaritätskomitee für Sandstrahlarbeiter« an, welches weltweit gegen die unverantwortliche Praxis in der Textilindustrie vorgeht; und seit die eindeutigen Diagnosen aus der Türkei bekannt wurden, sind auch andere Länder hellhörig geworden. Ziel des Komitees ist es, den erkrankten Arbeitern zu ihrem Recht zu verhelfen. »Wir unterstützen die Arbeiter bei Klagen, bereiten Gesetzesvorlagen vor, denn wir brauchen rechtliche Sicherheit, um mittelfristig Ansprüche auf Arbeitsunfähigkeitsrenten geltend machen zu können«, erklärt der Gewerkschaftler.
Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg, denn die Arbeiter müssen für alles und jedes kämpfen. So musste Adulhalim Demir drei Jahre lang zu den Behörden laufen, bis man ihm bestätigte, dass seine Erkrankung auf die Arbeit bei der Sandbestrahlung zurückzuführen ist. »Der gesamte Papierkram über unsere Sozialversicherungen und die Buchhaltung war gefälscht«, sagt der bärtige Mann, dessen Lungen nur noch zu 46 Prozent arbeiten und der zu körperlicher Arbeit kaum mehr in der Lage ist. Selbst eine simple Erkältung kann für ihn schon zu einem Problem werden, denn die Krankheit ist tückisch.
Die »Kampagne für Saubere Kleidung« unterstützt die Forderung Schleifpapier statt Sandstrahl. So heißt das Motto seit September 2010 bei der Modekette H&M. Auch C&A und andere große Anbieter haben umgestellt, zuletzt Mitte Januar Esprit. Doch viele der Luxushersteller wie Prada, Versace oder Dolce & Gabbana haben noch nicht reagiert.
Vollkommen unklar ist indes, wie die Unternehmen mit den berechtigten Ansprüchen der kranken türkischen Arbeiter umgehen wollen. Noch warten die Betroffenen auf Vorschläge.
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