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Klage gegen Ausstieg aus dem Ausstieg
Die Bundeskanzlerin hat im letzten Jahr im stillen Kämmerlein mit den vier großen Stromanbietern über die Laufzeitverlängerung für die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke verhandelt. Herausgekommen ist der Ausstieg aus dem Ausstieg. Der wurde dann mit der elften Atomgesetznovelle von der schwarz-gelben Koalition im Bundestag beschlossen. Und zwar trotz massenhafter Proteste im ganzen Land.
Ohne Not wurde ein mühsam erarbeiteter Kompromiss und damit der gesellschaftliche Konsens kurzerhand aufgekündigt. Und weil das auch der Bundesregierung klar war, hat sie im Gesetzgebungsverfahren die Bundesländer einfach übergangen. Denn der Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen hat bekanntlich die Machtverhältnisse im Bundesrat verändert. Schwarz-Gelb hat hier keine Mehrheit mehr. Die Bundesregierung wusste also sehr genau, dass ihr Gesetz keine Zustimmung im Bundesrat findet und hat das Laufzeitverlängerungsgesetz (11. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes) deshalb ohne Befassung im Bundesrat in Kraft gesetzt. Dieses Verfahren ist nach Ansicht einiger Bundesländer – darunter Berlin – mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Fünf Bundesländer wollen sich das nicht gefallen lassen. Deshalb hat der rot-rote Senat von Berlin gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Brandenburg vor dem Bundesverfassungsgericht am Montag Klage eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht muss nun prüfen, ob das Zustandekommen des Gesetzes dem Grundgesetz widerspricht. Damit wäre das Gesetz nichtig und die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke müsste rückgängig gemacht werden!
Das Gesetz ist ein Kniefall vor der Atomlobby. Für die vier großen Stromkonzerne sind damit Extraprofite in Milliardenhöhe garantiert, weil die im Jahr 2002 eingeführten Restlaufzeiten der Kernkraftwerke im Durchschnitt um zwölf Jahre erhöht werden. Berlin lehnt jegliche Verlängerung der Laufzeiten über die damals festgesetzten Reststrommengen entschieden ab.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die deutschen Kernkraftwerke ohne vorherige Sicherheitsprüfung noch länger laufen zu lassen, ist verantwortungslos und stellt ein erhebliches Risiko für die Bevölkerung dar. Dabei geht es nicht nur darum, dass veraltete Meiler länger am Netz bleiben sondern auch um zusätzlichen Atommüll. Es wird völlig außer Acht gelassen, dass es für dessen Lagerung bis heute keine gesicherten Konzepte und schon gar keinen geeigneten Standort für ein Endlager gibt. Der Bevölkerung wird also auch weiterhin ein erhebliches Risiko aufgebürdet – ganz zu schweigen von enormen zusätzlichen Kosten. Denn jeder Atomtransport wird künftig von noch stärkeren Protesten begleitet werden. Die Zahl der Atomkraftgegner wächst wieder, seit die Bundesregierung den demokratisch ausgehandelten Atomkompromiss von 2002 aufgekündigt hat.
Und noch ein wichtiges Argument gegen die Laufzeitverlängerung: Sie verhindert dringend notwendige Investitionen und Forschungen in dem Bereich der Erneuerbaren Energien und gefährdet sowohl die Wirtschaftlichkeit bereits getätigter Investitionen als auch die selbst gesetzten Beiträge zum globalen Klimaschutz. Der notwendige Ausbau und eine zeitnahe Umstellung auf regenerative Energieerzeugung rücken so in weite Ferne.
Die 48-Jährige ist in Berlin für die LINKE Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz.
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